In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
in der Konzilsstadt selbst, hier in meiner Nähe, sollte Cicero zu finden sein? Bisher unbekannte Reden? Ich kenne den Kardinal Orsini gut, er ist einer, der Bücher sammelt wie andere Menschen Bilder oder erlesene Weine. Eine Handschrift mit Cicero-Briefen dürfte in der Petit-Frage die Waagschale deutlich zugunsten der Franzosen senken.
In der letzten Nacht habe ich kaum geschlafen, so sehr beschäftigte mich der Gedanke an den Cicero. Ich überlegte hin und her, wie es mir gelingen könnte, an Orsinis Stelle diese Handschrift in meinen Besitz zu bringen. Und dann kam mir eine Idee. Wenn herauskäme, dass die Franzosen hinter dem Mord an dem burgundischen Ritter stecken, dann könnten die Burgunder sie vor König und Konzil verklagen, und damit wäre nicht nur die moralische Integrität der französischen Gelehrten in Frage gestellt, sondern auch ihre theologische Autorität, ganz abgesehen von dem Mordprozess, dem sie sich ausgesetzt sähen. Das können sie unmöglich riskieren. Außer dem städtischen Vogt weiß nur ich, dass der burgundische Ritter nicht einem Sonnenstich, sondern einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Vielleicht sollte ich den französischen Gesandten einen Besuch abstatten.
Es grüßt Dich Dein hoffnungsfroher
Poggio
*
Am Montag darauf starb einer der größten Gelehrten, die das Costentzer Konzil bis dahin gesehen hatte: der Grieche Manuel Chrysoloras. Er war schon über 60 Jahre alt, als er im Auftrag des oströmischen Kaisers zum Konzil nach Costentz reiste, um hier als Vermittler zwischen Ost und West aufzutreten. Die Strapazen der langen Reise hatten ihn so sehr geschwächt, dass er nach kaum sechs Wochen von einem Fieber dahingerafft wurde. Bereits am darauffolgenden Tag wurde er im Kloster der Dominikaner unter großem Wehklagen der versammelten Trauergemeinde beigesetzt. Die Leichenrede hielt sein Schüler Pier Paolo Vergerio.
Am Abend des nächsten Tages saßen die Bäcker und Simon Ringlin im Lamm . Sie aßen und tranken und lauschten den melancholischen Liedern von Peter Froschmaul. Zu fortgeschrittener Stunde kam auch Poggio Bracciolini in die Schänke. Er war sichtlich betrübt und passte damit ausgezeichnet zu dem Trio, das wieder einmal fruchtlos über eine Befreiungsmöglichkeit für Lucia nachsann.
»Herr Poggio, was ist geschehen?«
»Habt ihr es nicht gehört? Manuel Chrysoloras ist gestorben.«
Er bestellte einen Krug Wein und schenkte sich einen Becher voll. Dann goss er auch ihnen ein und wollte auf das Gedenken des Toten anstoßen. Als sie ihn etwas verlegen ansahen, merkte er, dass keiner von ihnen wusste, wessen Gedenken sie begießen sollten. Sie hatten den Namen noch nie gehört. Poggio seufzte.
»Ich war noch ein junger Mann von kaum 16 Jahren, als Manuel Chrysoloras nach Florenz kam. Nie werde ich sein würdiges Angesicht und seine ernste Rede, in der man den Philosophen erkannte, vergessen. Mit ihm kam die griechische Sprache und Weisheit in den Okzident. Er hat uns nach 700 Jahren, in denen niemand mehr hier Griechisch verstand, wieder an die Quellen der griechischen und lateinischen Bildung geführt! Er hat uns gelehrt, Homer und Platon, Aristoteles und Demosthenes und alle Dichter und Philosophen endlich im Original kennenzulernen! Durch sein Verdienst ist der Eifer für die griechischen Wissenschaften in uns allen entzündet worden! Aber er war nicht nur ein außergewöhnlich begabter Lehrer, sondern auch ein Mensch von milder Humanität, von mäßigem und völlig unbescholtenem Lebenswandel. Er war ein Anhänger des oströmischen Glaubens, doch wenn ich mir so manchen weströmischen Prälaten anschaue, der hier am Konzil von Gottesfurcht und Häresie redet, dann kommt mir Chrysoloras vor wie ein Sonnenstrahl in der Finsternis, ja wie ein wahrhaft göttlicher Mensch!«
Seine Verehrung für den Verstorbenen konnte Poggio nur in seiner Muttersprache angemessen ausdrücken, und bevor Giovanni übersetzen konnte, sagte plötzlich hinter ihnen eine leicht spöttische Stimme auf Italienisch: »Du hättest die Leichenrede halten sollen, mein lieber Poggio!«
Alle richteten ihre Blicke auf den Neuankömmling. Ein hochgewachsener Mann mit kurzen dunklen Haaren und Lachfalten um die Augen stand an ihrem Tisch.
»Pier Paolo, setz dich zu uns! Freunde, dies ist Pier Paolo Vergerio, ein Sekretarius wie ich, jedoch im Dienste Papst Gregors hierher gekommen. Doch nun sind unser beider Päpste weit fort, und heute eint uns die Trauer um einen Mann, dem wir
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