In Nomine Diaboli: Historischer Kriminalroman (Historischer Roman)
als wir den Raum betraten, blieb ich einen Augenblick stehen, um die Schönheit dieser Studierstube auf mich wirken zu lassen.
Der Schneeregen hatte aufgehört, und die Wolken waren vom Wind aufgerissen worden. Im Westen war die Sonne noch einmal durchgebrochen, bevor sie endgültig hinter dem Horizont versinken würde, und nun malte sie im Osten, wohin unser Blick durch die kleinen Scheiben gelenkt wurde, einen weiten, leuchtenden Regenbogen vor den bereits sich verdunkelnden Himmel. Ich schwöre dir, mein Niccolò, es war, als ob Christus selber jeden Augenblick zu uns herabsteigen und uns seinen Segen erteilen würde! Die Studenten, die Patres, die Schreiber, alle, die sich in der Bibliothek befanden, hielten in ihrer Tätigkeit inne, um sich an diesem Anblick zu erfreuen. Doch dann verschwanden plötzlich Sonne und Regenbogen und es wurde dunkel in der Stube. Nun befinden wir uns ja leider in der Zeit des Jahres, da die Nächte länger sind als die Tage, und so verfluchte ich insgeheim den heißen Wein, der uns so lange im Gespräch festgehalten, wo wir doch hier geistige Labsal hätten bekommen können. Doch der Prior ließ Lampen anzünden, und so konnte ich wenigstens im Groben einen Eindruck des Raumes und seines Inhaltes bekommen.
Der Bibliothekssaal ist länger als breit und erstreckt sich über eine Länge von etwa 50 Fuß. Auf beiden Seiten befinden sich Fenster, die linker Hand nach Westen zum Kreuzgang gehen und rechter Hand auf den See, wie schon berichtet. Unter jedem Fenster ist ein Schreibplatz eingerichtet, während in die Wände zwischen den Fenstern Nischen eingelassen wurden, in die man wiederum vier- bis fünfgeschossige Buchgestelle eingefügt hat. In der Mitte des Raumes stehen aufgereiht Tische mit wertvollen Teppichen verhüllt, auf denen die Patres die Bücher ablegen können, um sie eingehender zu studieren.
Die Decke des gesamten Raumes ist mit grünen Blättern und Ranken bemalt, in welche Schriftrollen mit weisen Sprüchen eingeflochten sind, gerade so, als ob man in einen himmlischen Wald der Weisheit geraten wäre, und zwischen den Ranken sind Medaillons mit dem Abbild Jesu, Mariae und etlicher Heiliger eingebettet, die dem Studierenden beim Lesen recht freundlich über die Schulter blicken.
Ein wirkliches Kleinod, diese Bibliothek, mein Niccolò, und der eindrucksvolle Raum ließ mich glauben und hoffen, dass nun womöglich auch sein Inhalt meinen erhabenen Erwartungen entsprechen würde.
Welch herbe Enttäuschung harrte jedoch meiner, Freund!
Neben der Heiligen Schrift und den Legendenbüchern fand ich selbstverständlich die Werke des Aquinaten und Meister Eckharts, die ja demselben Predigerorden angehörten, auch die Schriften des genannten Heinricus Suso, ja sogar unseren Dante mit seinen Höllenversen (wobei ich mich gefragt habe, wer von den Brüdern hier überhaupt unsere Sprache lesen kann!), aber meine geliebten Antiken waren nur durch Vergil vertreten. Kein Cicero, kein Ovid, ja nicht einmal Statius oder Flaccus! Meine Hoffnung, vielleicht ein Manuskript aus der Zeit der Alten zu finden, wurde rasch zunichte. Als ich an einer Stelle einen verheißungsvollen Buchrücken entdeckte und das Werklein aus dem Regal zog, hatte ich an den Händen zwar Krumen vom Hopfen, den man fein säuberlich hinter die Buchreihen gestreut hatte, aber in den Händen hielt ich nur ein Jahrzeitbuch mit endlosen Listen verstorbener Klosterbrüder. Doch was hatte ich in einem Mendikantenkloster anderes erwartet?
Dem Prior war es nun ein Arges, mir den Suso ans Herz zu legen, ja, er erklärte sich bereit, mir in der eigenen Schreibstube eine Abschrift von dessen wichtigstem Werke, dem ›Exemplar‹, fertigen zu lassen, in welchem der Mystiker seinen Weg zum Heil beschreibt. Ich aber lehnte dankend ab mit dem Hinweis, dass ich der hiesigen Volkssprache nicht mächtig sei. Ganz ehrlich gestanden, mein lieber Niccolò, steht mir der Sinn nicht danach, mich mit den Schriften eines Predigerbruders abzumühen, der, so sagte man mir, nur gefastet und seinen Körper kasteit hat. Was Wunder, dass er Visionen bekam! Da sind mir beim Wein verfasste deutsche Lieder doch bedeutend lieber!
Nachdem ich mich rasch vom Prior verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Weg zurück zum Münsterhügel. Es war nun stockdunkle Nacht geworden und hatte wieder zu schneien begonnen. Der Bruder Pförtner hatte mir auf Anweisung des Priors eine Lampe mitgegeben, die ich mit der Rechten vor mir hertrug. Meinen Mantel
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