In Nomine Mortis
Schönfrau
geworfen haben. Nur dass sie keinen Freund hatte, der sie aus der tödlichen
Bahn der Waffe stieß.«
Ich konnte nicht mehr
weitersprechen, denn nun überkamen mich doch Reue und Scham.
Der Inquisitor nickte.
»Du hast viel gelernt, mein junger Bruder. Bedenken wir noch, dass
auch der sündige Domherr Nicolas d'Orgemont aus dem Leben gerissen
worden ist, dann bleibt nur eine Schlussfolgerung: Der Mörder
Heinrichs von Lübeck hat diejenigen umgebracht, die Zeugen seiner schändlichen
Tat waren.«
»Allerdings haben weder
der Domherr noch die Schönfrau sagen können, wer Heinrich von Lübeck
erstochen hat«, wagte ich nach kurzer Überlegung einzuwerfen.
Meister Philippe nickte.
»Das ist wohl gesprochen. Doch weiß dies auch der Unhold, den
wir suchen? Immerhin hat uns Jacquette doch so viel sagen können,
dass wir auf die Spur des Vaganten Pierre de Grande-Rue gekommen sind. Ist
er also der Mörder?«
»Es scheint mir so zu
sein«, antwortete ich nachdenklich. »Er hat zudem sein Messer
nach uns geschleudert. Mich schaudert es, doch mag es sein, dass er auch
uns, die wir ihm auf den Fersen sind, nach dem Leben trachtet. Die Kutten
werden uns nicht schützen. Er hat schon bewiesen, dass er nicht
einmal davor zurückschreckt, einen Mönch zu erstechen. Und einen
Domherren von Notre-Dame, falls er auch diese Untat begangen hat.«
Der Inquisitor strich sich
bedächtig über die Wange. »Nur eines verstehe ich nicht«,
murmelte er. Dann leuchtete wieder die Jagdlust in seinen Augen auf. Sein
Gesicht und seine Stimme verrieten, welche Freude er daran hatte, dass
sich ihm ein neues Rätsel auftat, kaum dass wir glaubten, ein altes
gelöst zu haben.
»Warum«, fuhr
Meister Philippe schließlich fort, »sollte Pierre de
Grande-Rue diese schrecklichen Taten verübt haben? Die Morde am
Domherren und an der Schönfrau - gut, da mag er unliebsame Zeugen für
immer zum Schweigen gebracht haben. Doch warum die allererste Todsünde?
Warum sollte ein Vagant aus der französischen Provinz, der eher zufällig
nach Paris gelangt ist, einen Dominikaner aus Deutschland, der auch erst
seit kurzer Zeit in der Stadt weilt, niederstechen? Zumal es dem Täter
offenbar nicht um Geld ging, denn die Münzen — ein weiteres Rätsel
- trug Heinrich von Lübeck ja noch bei sich.«
In diesem Moment kamen gleich
mehrere Männer auf uns zu: Der hagere Sergeant in Begleitung des
Baders Nicolas Garmel. Und aus Richtung der Rue Saint-Antoine stürmte,
gefolgt von einigen Wachen, Ambroise de Lore auf uns zu. Dem Prévôt
royal stand die Zornesröte im Gesicht, sodass seine Züge
leuchteten wie Blut — ebenso wie seine scharlachrote Amtstracht.
»Ist dies die Hure, die
den Mord an dem Mönch beobachtet hat?«, fragte er, kaum dass er
angelangt war. In seiner Erregung hielt es der Prévôt nicht für
notwendig, einen von uns zu grüßen. »Dies war die Schönfrau
Jacquette. Sie war die beste Zeugin, die wir hatten«, antwortete der
Inquisitor gelassen.
»Wer hat ihr das
angetan?«, wollte de Lore wissen. »War es der Verfluchte, der
auch den Dominikaner entseelt hat?«
»Das ist möglich«,
gab Meister Philippe zurück. Da fluchte der Prévôt so lästerlich,
wie es seiner Stellung wahrlich nicht geziemte. »Meister Philippe!«,
rief er. »Ihr wisst doch, wie es in Paris gärt! Ihr kennt die
Gerüchte von der Seuche draußen im Land. Ihr wisst, dass das
Volk Blut sehen will - von den Juden oder von sonst jemandem. Wenn es nach
mir ginge, könnten sie ruhig alle Juden verbrennen, doch Ihr wisst,
dass es dabei nicht bleiben wird, wenn das Volk erst einmal Gefallen
gefunden hat am Töten und Plündern. Und Ihr wisst, dass viele Bürger
glauben, all das Unglück habe mit der ungesühnten Mordtat an
einem Mann GOTTES begonnen.
Was, glaubt Ihr, wird nun
geschehen, wenn das Gerücht die Runde macht, dass der Mörder des
Mönches wieder zugeschlagen hat? Dass er nicht nur frei herumläuft,
sondern auch noch neue Opfer sucht? Ihr wisst, dass ich keine Boten mehr
über Land schicken kann, weder zum König noch zum Papst. Zu
unsicher sind die Straßen in Frankreich geworden, zu allgegenwärtig
ist der Tod. Doch ich schwöre Euch: Wenn Paris brennen sollte, dann müsst
auch Ihr Mönche ans Sterben denken! Denn der Zorn des Volkes wird
dann keine Grenzen kennen.«
»Dessen bin ich mir
bewusst«, antwortete der
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