In Nomine Mortis
dort ebenfalls nach
gelehrten Werken suchen, die ein Licht werfen könnten auf jenes Land.«
Lea schwieg, da uns gerade
ein paar Marktweiber passierten, doch sah ich aus den Augenwinkeln, dass
sie zustimmend nickte. »Noch etwas«, flüsterte ich, als
die Frauen außer Hörweite waren. »Hat Euer Vater je etwas
mit einem Vaganten zu schaffen gehabt, der sich Pierre de Grande-Rue
nennt?«
Die junge Jüdin war so
beherrscht, dass sie selbst bei dieser Frage, die ihr sicherlich seltsam dünkte,
keine Überraschung zeigte. »Vaganten haben keine Scheu, mit
Juden zu reden«, antwortete sie. »Und sie kommen viel herum.
So zahlen Geldwechsler ihnen hin und wieder kleine Summen, damit ihnen das
Fahrende Volk Neuigkeiten bringt. Über Armut und Reichtum in fremden
Städten etwa oder wo sich gute Handwerker finden lassen oder welcher
hohe Herr sich mit den Vaganten auf Glücksspiele und dergleichen einlässt.
Auch mein Vater lädt manchmal Vaganten in sein Haus. Doch ich kenne
deren Namen nicht, denn diese Leute stellen sich einer Frau nicht vor und
mein Vater vermeidet es, mit mir über sie zu sprechen.«
»Ich meine einen
Vaganten, der sehr groß und dick und dabei kräftig ist. Er hat
feuerrote, wilde Haare und einen ebensolchen Bart. Wer ihn einmal gesehen
hat, der vergisst seine Erscheinung nicht mehr.«
Lea dachte ein paar
Augenblicke nach. »Nein«, gab sie schließlich zur
Antwort, »ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Mann gesehen zu
haben, auf den Eure Beschreibung zutrifft. Doch ich könnte versuchen,
meinen Vater unauffällig nach seinem Wissen über die Vaganten
auszufragen«, entbot sie.
»Tut das«,
antwortete ich und hätte gerne noch mehr Worte an sie gerichtet.
Doch da sah ich zwei Mitbrüder,
die mir entgegenkamen. Ich senkte das Haupt, ging jedoch weder schneller
noch langsamer. Lea musste die Mönche ebenfalls gesehen haben —
und verstand sofort. Sie folgte mir noch eine kurze Wegstrecke, dann bog
sie in eine Seitengasse ein. So verschwand sie lautlos hinter meinem Rücken,
ohne dass wir uns voneinander verabschieden konnten. Ich traf meine Mitbrüder
genau vor der Klosterpforte. »Pax vobiscum«, murmelte ich. Zusammen mit den
beiden Mönchen, die sich nicht überrascht zeigten, mich in der
Abendstunde noch auf der Straße zu sehen, trat ich dann ein.
Doch als ich mich schon in
Sicherheit wähnte, fuhr mir der Schrecken in die Glieder. Es war im
Kreuzgang, den ich langsam durchschritt — und wo mir plötzlich
Meister Philippe entgegenkam.
»Hast du noch einen
kleinen Spaziergang unternommen, Bruder Ranulf?«, fragte mich der
Inquisitor höflich. »Kannst du keine Ruhe finden?«
Ich spürte, wie mir die
Röte ins Gesicht schoss. Waren dies nur die freundlichen, besorgten
Worte eines älteren Mitbruders oder hatte der Inquisitor etwas
geahnt? Hatte er mich gar auf der Straße gesehen und bemerkt, wie
mir die verschleierte junge Frau gleich einem Schatten gefolgt war? Würden
sich seine scharfen Augen überhaupt von Leas Gewändern täuschen
lassen? Hatte er mich also gar gesehen — und wusste zugleich, mit
wem ich gesprochen hatte? Sollte ich ihm nun die Wahrheit sagen - oder
sollte ich weiter lügen? Ich entschloss mich zur Lüge.
So murmelte ich denn etwas
von meiner Besorgnis über die wirren und gefährlichen Ereignisse
im Schlachthof und versicherte Meister Philippe, dass ich meine Ruhe nun
jedoch wiedererlangt hätte. In unziemlicher Hast nahm ich dann meinen
Abschied und eilte zu meiner Zelle. Dort lehnte ich mich an die Wand und
atmete tief durch. Ich fühlte mich erschöpft. Und zugleich
zitterte ich, denn dies war mir nun klar: Ich hatte den Verdacht des
Inquisitors erregt.
*
Der nächste Tag war der
des Apostels Thomas. Ein neuer, heißer Julimorgen brach gerade an.
Ich war dankbar für die Kühle der Kirche, in der ich mich, noch
schlaftrunken, zur Prim einfand. Doch kaum erklangen die Stimmen der Brüder
zum ersten Hymnus, entstand Unruhe an der Pforte unseres GOTTEShauses. Ein
Novize drängte sich herein, schlich zum Platz von Meister Philippe
und flüsterte diesem etwas ins Ohr. Der Inquisitor unterbrach seinen
Gesang, dann gab er mir mit der Hand ein Zeichen, ihm zum Ausgang der
Kirche zu folgen.
Ich wagte nicht, ein Wort zu
sagen, sondern ging schweigend hinter Meister Philippe her bis zum
Kreuzgang. Als ich dort ankam, schauderte ich, als
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