In Nomine Mortis
hast du
diesen Menschen geschickt, als Jacquette in der Stunde der größten
Not war? Warum ihn? Warum nicht mich? Hätte ich ihr denn nicht viel
besser beistehen können als jener elende Färber?«
Dann ermahnte ich mich, dass
diese meine Gedanken die Sünde des Hochmutes in sich trugen. War ich,
der wollüstige und lügnerische Mönch, nicht viel nichtswürdiger,
als es jener Färber je sein könnte? War nicht Jesus Christus bei
jenen Menschen eingekehrt, die von allen anderen verachtet wurden? War ich
nicht wie ein Pharisäer? So ermahnte ich mich, nicht meinem Kleinmut
und meinem düsteren, doch vorschnellen Urteil nachzugeben — und
stattdessen Durant de Brie so aufmerksam und großherzig zuzuhören,
wie es einem jeden Menschen geziemt.
Meister Philippe stellte sich
und uns nur kurz vor, hielt sich ansonsten jedoch nicht lange mit Vorreden
auf. »Was hast du in der letzten Nacht gesehen?«, fragte er.
»Gesehen habe ich zunächst
nichts, Herr«, antwortete der Färber und rang verlegen seine Hände.
Er hatte uns gebeten, Platz zu nehmen, doch niemand von uns wollte sich
auf die schmutzigen Stühle niedersetzen. So standen wir denn alle in
der kleinen Stube. »Ich konnte in der letzten Nacht wegen der drückenden
Hitze nicht einschlafen«, fuhr Durant de Brie fort. »Ich lag
am offenen Fenster, um wenigstens einen Hauch frischer Luft zu atmen. Da hörte
ich einen schrecklichen Schrei.«
»Wann war das?«,
unterbrach ihn Meister Philippe. »Das kann ich nicht sagen. Es war
noch ganz dunkel draußen. Es muss Mitternacht gewesen sein oder noch
später.« Der Färber leckte sich mit der Zunge über
die trockenen Lippen und sprach dann nur zögernd weiter. Man sah ihm
an, dass er sich noch immer fürchtete, wenn er an die letzte Nacht
dachte.
»Ich stand auf«,
sagte er leise, »und trat zum Fenster. Meine Schlafstube liegt im
Obergeschoss. Zunächst konnte ich nichts erkennen. Ich wollte mich
schon wieder hinlegen, da brach der Mond zwischen zwei Wolken hervor. Sein
fahles Licht fiel auf die Stadtmauer und da …« Er verstummte.
»Da sahst du, wie die
Schönfrau niedergestochen wurde?«, fragte der Inquisitor.
Der Färber schüttelte
heftig den Kopf. »Nein, nein. Ich sah die Frau am Boden liegen. Auf
dem Rücken. Blut entströmte ihrer Brust, so viel Blut. Oh, es
war schrecklich anzusehen!«
»Und bist du nicht nach
draußen geeilt, um ihr zu helfen?«, fragte ich empört.
»Ich fürchtete
mich«, gestand der Färber und blickte zu Boden. »Denn im
Zwielicht an der Mauer sah ich noch jemanden …«
»Wen?«, fragten
Meister Philippe, der Prévôt und ich gleichzeitig. »Den
Teufel!«, flüsterte Durant de Brie und bekreuzigte sich.
Wir prallten zurück, als
hätte er uns allen einen Schlag versetzt. Die Wachen, die dem Prévôt
bis zum Eingang der Stube gefolgt waren, schlugen das Kreuz und flüsterten.
Der Inquisitor blickte den Färber mit strenger Miene an.
»Du willst Satan
gesehen haben?«, fragte er. »Woran hast du ihn erkannt?«
»Es war ein Schatten da«,
die Stimme de Bries war so schwach geworden, dass wir ihn kaum noch
verstehen konnten. Trotzdem fuhr mir ein kalter Schauder in den Leib,
kaum, dass ich diese Worte vernommen hatte.
»Ein Schatten«,
fuhr er fort, »groß wie ein Mann, doch ohne Gesicht. Er
verharrte kurz am Rand der Mauer, dann war er im Dunkel der Nacht
verschwunden. Oh, wie zitterte und zagte ich! Ich wagte nicht, mich zu rühren,
bis dass der Tag angebrochen war. Dann rief ich einen Sergeanten. Dieser
Schatten muss der Engel der Finsternis gewesen sein! Ich spürte ihn,
den kalten Hauch des Todes und auch die Schrecken der Hölle.«
»Das heiße Eisen
des Folterknechtes wird dir den kalten Hauch schon wieder aus den Knochen
treiben und die Schrecken der Hölle werden dir wie das Paradies
erscheinen, liegst du erst einmal auf der Streckbank!«, polterte da
Ambroise de Lore los. Die Zornesröte hatte das Gesicht des Prévôt
entflammt. »Was redest du da vom Teufel?« Dann wandte er sich
an den Inquisitor. »Das fehlt mir noch, dass jemand vom Satan
faselt, der durch die Straßen von Paris schleicht und Frauen
niedersticht! So viele schädliche Gerüchte laufen schon um in
der Stadt. Ein falsches Wort genügt und Paris wird brennen! Und da
erzählt mir dieser stinkende Färber etwas vom schwarzen Engel
der
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