In Nomine Mortis
Sergeant. »Wir haben sie nicht angerührt.« Ich
wollte die Augen schließen und konnte es doch nicht. Wie durch böse
Magie gebannt starrte ich zu jener Stelle: Es war eine Nische in der
Stadtmauer, kaum zwei Armlängen tief und nur wenig breiter, ein paar
Schritte neben dem Baudets-Tor.
Jacquette lag dort auf dem
staubigen Boden. Die junge Schönfrau war auf dem Rücken
ausgestreckt, beide Arme waren vom Körper weggebogen. Man hätte
denken können, sie schliefe tief - wären ihre Augen nicht weit
aufgerissen gewesen und hätten starr in die Unendlichkeit geblickt.
Ihr wirres, offensichtlich seit Wochen ungewaschenes braunes Haar hatte
sich wie ein Schleier um ihr Haupt gelegt. Ihr Körper erschien mir
noch magerer als das letzte Mal, da ich sie gesehen hatte. Doch das mochte
auch daran liegen, dass sich ihr Brustkorb nun nicht mehr hob und senkte.
Ihre rechte Brust war entblößt, denn das schäbige Gewand
war dort zerfetzt, doch erkannte ich dies erst bei genauerem Hinsehen.
Braunrot eingetrocknetes Blut hatte sich darüber ergossen. Es war aus
einem tiefen, breiten Stich oberhalb der Brust geflossen.
Qui enim mortuus est
iustificatus est apeccato. »Verzeih mir, Jacquette!«
So sprach ich in Gedanken zu
ihr, während der Inquisitor ihren toten Körper schweigend
umkreiste. »Du warst die geringste aller Dirnen - und doch hätte
ich dich freudiger beschützt als selbst den Papst. Doch ich habe
versagt. Ich war zu schwach, um dir beizustehen in deiner Stunde der Not.
Ich war nicht klug genug, den dunklen Schatten aufzuspüren, der dich
belauert hat. Aber ich schwöre dir bei allen Heiligen: Ich werde
diesen Schatten finden und er soll auf dem Scheiterhaufen brennen!«
Während ich dies dachte,
zuckte kein Muskel in meinem Gesicht. Meister Philippe sollte denken, dass
ich schweigend und bewegungslos wartete, bis er seine Beobachtungen
abgeschlossen hatte. Als der Inquisitor sich endlich wieder aufrichtete,
trat auch der dünnere der beiden Sergeanten zu uns, den ich ebenfalls
schon am Schauplatz jenes Mordes getroffen hatte, der mich in die düsteren
Verwicklungen von Paris hineingezogen hatte.
»Sie wird in der Nacht
gestorben sein«, sagte Meister Philippe leise. Dann gab er dem neu
hinzugetretenen Sergeanten einen Wink. »Geh und hol mir den Bader
Nicolas Garmel! Er mag noch mehr sehen als ich es hier tue.«
Während sich der
Uniformierte eilig auf den Weg machte, wandte sich Meister Philippe an
mich. »Was denkst du, Bruder Ranulf? Was ist geschehen?«
Ich schluckte und hoffte,
dass meine Stimme weder Trauer noch Rachedurst verriet. »Jacquette
mag versucht haben, durch eines der kleineren Stadttore aus Paris zu
entkommen«, antwortete ich. Je länger ich sprach, desto ruhiger
wurde ich. Es war, als würden mir die klaren Überlegungen den
Kopf frei machen von den Nebeln der Leidenschaft. War dies vielleicht der
Grund, warum der Inquisitor mich um meine Meinung bat?
»Wenn sie fliehen
wollte, dann hat sie vielleicht jemand abgefangen und umgebracht.
Vielleicht hat sie sich auch all die Tage im Viertel der Gerber und Färber
versteckt gehalten. Schließlich sind die Miasmen hier ungesund, vor
allem im Sommer mit seiner Hitze. Hier werden die Sergeanten weniger genau
gesucht haben als andernorts. Trotzdem ist es von hier aus kein allzu
langer Weg zu den Gassen um Notre-Dame, wo sie die Männer fand, die für
ihre Dienste zahlten. Dann mag es Zufall sein, dass sie am Baudets-Tor
erstochen wurde. Kein Zufall jedoch ist ihr Tod. Er zeigt uns, dass
derjenige, der sie gesucht hat, sie am Ende auch fand.«
Ich holte tief Luft. »Und
wer immer der Schönfrau nach dem Leben trachtete: Es war jemand, der
mit einem Messer zustach. Diesmal, anders als bei Heinrich von Lübeck,
zeigen die Hände keine Wunden. Mag sein, dass die Dirne ihren Mörder
kannte und nicht erwartete, dass dieser eine Waffe zückte. Vielleicht
hat sie ihn für einen der Männer gehalten, denen sie zu Willen
sein musste.
Es mag aber auch sein, dass
der Mörder sie überraschte und ihr keine Zeit mehr blieb, sich
zu wehren. Zum Beispiel…« Lange zögerte ich, dann sprach
ich meinen Verdacht aus. »Zum Beispiel, indem er mit dem Messer
nicht zustieß - sondern es warf. Die Schlachthöfe sind nicht
weit. Und so, wie Pierre de Grande-Rue dort das Messer nach mir
geschleudert hat, so könnte er es auch nach der
Weitere Kostenlose Bücher