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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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hätte ein Engel
     der Finsternis seinen eisigen Flügel über mein Gesicht
     hinwegschweben lassen. Denn dort stand jener große, bärtige
     Sergeant, der uns einst zum toten Heinrich von Lübeck geführt
     hatte.
    »Verzeiht, dass ich
     Euch aus der Kirche holen lassen musste, Ihr Brüder«, begann er
     und verneigte sich. Sein Atem stank noch stärker nach Knoblauch, als
     ich es von unserer letzten Begegnung in Erinnerung hatte. Man sah ihm an,
     dass ihn ein schlechtes Gewissen plagte und vielleicht auch die Furcht vor
     uns oder jemand anderem. »Ich muss Euch sagen, dass wir soeben die
     Schönfrau Jacquette gefunden haben.«
    Ich schloss die Augen und
     schickte ein stummes Gebet zu IHM.
    Einen Moment war mir, als hätte
     sich meine Befürchtung bestätigt und die junge Dirne wäre
     in die Hände ihrer Häscher gefallen.
    Doch es kam noch schlimmer.
    »Sie ist tot«,
     setzte der Sergeant tonlos hinzu.
    Ich schwankte, als hätte
     mir jemand aufs Haupt geschlagen.
    »Fühlst du dich
     nicht wohl, Bruder Ranulf?«
    Wie aus großer Ferne
     vernahm ich die Stimme des Inquisitors.
    »Es ist nichts, Meister
     Philippe«, antwortete ich. »Mich schwächt nur die drückende
     Hitze.«
    Von all den Lügen, die
     ich dem Inquisitor bis dahin schon erzählt hatte, war keine wohl
     weiter von der Wahrheit entfernt als diese. »Es ist nichts!«
     Dabei war mir, als habe man mir das Herz aus dem Leib gerissen. Denn
     wiewohl ich der jungen Dirne niemals beigewohnt, ja sie kaum einmal mit
     der Kuppe eines Fingers berührt hatte, war sie mir doch zur ersten
     Frau in meinem Leben geworden. Ja, bei ihrem Anblick hatte ich wie nie
     zuvor an die Sünde der Wollust gedacht, sie hatte mich, genau wie es
     unsere Kirchenväter beschrieben, auf den Abweg geführt, der nun
     mein Seelenheil bedrohte. Und doch: Ich war glücklich in ihrer Nähe
     gewesen und geehrt durch ihr Vertrauen. Ein Vertrauen, das sie mir
     vergebens entgegengebracht hatte. Denn ich hatte sie nicht schützen können.
     Ich hatte ihr keinen Ausweg gewiesen, nicht aus ihrer Seelenpein und nicht
     aus Paris, wo ein dunkler Schatten sie bedrohte. Stumm betete ich für
     ihre Seele und hoffte, dass Jacquette trotz aller ihrer Sünden in
     SEIN Reich eingegangen war und teilhatte an SEINER Herrlichkeit.
    Dann ermannte ich mich.
     »Ich fühle mich stark genug für diesen Weg, Meister
     Philippe«, sagte ich laut. Meine Stimme zitterte, doch ich
     versuchte, energisch zu nicken.
    »Gut«, antwortete
     der Inquisitor, nachdem er mich einen Augenblick lang gemustert hatte,
     »folgen wir dem Sergeanten!«
    Der massige Uniformierte führte
     uns quer durch die Stadt. Fahl war der Himmel über Paris, noch gab
     kein Windhauch eine Erfrischung in der lastenden Hitze. Doch fern im
     Westen stand ein schwarzer Strich am Horizont — und ich hoffte, dass
     es Wolkentürme seien, die ein Gewitter bringen würden, das uns
     abkühlte.
    Und uns von allem Schmutz und
     allen Sünden reinwusch.
    »Sie haben sie am
     Baudets-Tor gefunden«, sagte der Sergeant. »Es ist noch keine
     Stunde her.« 
    »Wer hat Jacquette
     entdeckt?«, fragte Meister Philippe. »Ein Färber namens
     Durant de Brie«, bekam er zur Antwort. »Er wohnt im ›Haus
     zum Bären‹ neben dem Tor und hat sie gesehen, als er ans
     Fenster trat.«
    »War sie da schon tot?«
    Das Gesicht des Sergeanten rötete
     sich noch stärker als zuvor. »Das haben wir nicht gefragt,
     Herr. Doch wir haben den Färber festgehalten. Er wird Euch Auskunft
     geben können.«
    Wir legten den Rest des Weges
     schweigend zurück. Es ging über die Seine, vorbei an Notre-Dame,
     wo ich Jacquette das erste Mal gesehen hatte. Am anderen Ufer schritten
     wir bis zur Rue Saint-Antoine, wo wir uns gen Osten wandten. Kurz vor der
     Stadtmauer führte uns der Sergeant in eine Gasse, die parallel zur
     großen Straße bis zur Befestigung lief und dort in ein kleines
     Tor mündete. »Die Porte Baudets«, sagte der Uniformierte
     und deutete nach vorne. Wir waren im Viertel der Gerber und Färber
     und es stank nach verwesendem Fleisch, nach fauligem Leder und nach Urin
     und all den anderen Ingredienzen, mit denen Tierhäute zu feinen
     Schuhen, weichen Handschuhen und zu Pergament verarbeitet werden. Nur ein
     paar Schritte entfernt Richtung Seine-Ufer lagen die Schlachthöfe, wo
     wir Pierre de Grande-Rue aufgespürt und wieder aus den Augen verloren
     hatten.                  
    »Da liegt sie«,
     sagte der

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