In Nomine Mortis
Meister Philippes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Kein Wort auch
von Klara.
Auf meinem Weg zum Viertel
der Schlachthöfe passierte ich morgens und abends die Seine-Insel und
sah auf den Hafen. Dort lag die Kogge unbeweglich wie eine schwimmende
Burg. Die Arbeiten der Matrosen schienen eingestellt worden zu sein, doch
ich wusste nicht, ob ich dies als gutes oder schlechtes Zeichen zu deuten
hatte. Waren die Vorbereitungen für eine große Reise bereits
abgeschlossen und musste ich deshalb jede Stunde mit dem Auslaufen der
»Kreuz der Trave« rechnen? Oder war, im Gegenteil, diese
Abreise auf unbestimmte Zeit verschoben worden?
Gerne hätte ich die
Reedersgattin wiedergesehen. Warum es verschweigen? Ich wollte ihr nicht
nur Fragen stellen, ich sehnte mich auch nach ihrem Körper und ihren
Liebkosungen. Ihr Bild erschien mir oft im Schlaf — und stets waren
es wollüstige Träume, die mich dann übermannten. Wie froh
war ich nun, dass ich nicht im Schlafraum mit Dutzenden Mitbrüdern nächtigen
musste! Denn was hätten die wohl gedacht, hätten sie mich im
Schlaf stöhnen gehört wie einen brünstigen Hirschen?
Doch war meine Scham über
diese sündigen Nachtgesichter nicht halb so groß wie meine
Erleichterung an jedem Morgen, da ich gewahr wurde, dass ich von Klara
geträumt hatte.
Denn in den Nächten, in
denen ich nicht von meiner Geliebten fantasierte, sah ich im Schlaf das
leere Gesicht der toten Jacquette, über das sich ein Schatten beugte,
von dem eine Furcht erregende Kälte ausging. Trotz dieser Kälte,
die mir ins Herz fraß, wachte ich dann stets schweißgebadet
auf und konnte nicht wieder Ruhe finden, bis mich die Glocke zur Prim
rief.
So verstrichen meine Nächte
mal in sündigen, mal in Schrecken erregenden Träumen, in denen
stets eine Frau meine Seele gefangen nahm. Und in den hellen Stunden wuchs
meine Unruhe. Denn wurde nicht mit jedem Tag, der nutzlos verstrich, die
Gefahr auch für die beiden Frauen größer, deren Schicksal
mir nicht nur am Herzen lag, sondern das ich auch noch mitzugestalten
hoffte? Vielleicht verfolgte der Schatten nicht Lea oder Klara, doch
konnte ich da sicher sein? Da ich nicht wusste, warum er tötete,
wusste ich auch nicht, ob der Tochter des Geldwechslers oder der Gattin
des Reeders — oder gar beiden — der Tod drohte.
Die einzige Abwechslung in
jenen langen, zäh dahinfließenden, erschöpfenden, drückenden
sieben Tagen waren die Bauern aus dem Umland, die frisch geschnittenes Heu
für das Vieh nach Paris brachten. Überall, so schien mir,
stapelten sich nun Ballen, vor Häusern, auf Marktplätzen und am
Seine-Ufer. Der herbe, doch frische Geruch nach Heu milderte den Gestank
der sommerheißen Stadt, selbst im Viertel der Färber und
Gerber.
Doch Meister Philippe
betrachtete die Männer und Frauen vom Land sorgenvoll. »Es sind
weniger als in den Jahren zuvor«, murmelte er, »viel weniger.
Die Ernte muss schlecht sein dieses Jahr. Oder es gibt nicht genug Bauern,
sie einzubringen.«
»Wo mögen die
Bauern sein?«, fragte ich.
Doch darauf gab der
Inquisitor keine Antwort und schlug nur das Kreuz.
*
Am achten Tage kam in aller
Frühe ein Diener zum Kloster. Er trug das Wappen des Bischofs von
Paris.
»Damit habe ich schon längst
gerechnet«, seufzte Meister Philippe, als er des Boten gewahr wurde.
Und tatsächlich: Der
Diener überreichte uns ein Schreiben, in dem wir - in ebenso höflicher
wie unmissverständlicher Sprache - aufgefordert wurden, uns sofort
bei Magister Jean Courtecuisse zu melden, dem ehrwürdigen Bischof von
Paris.
»Bringen wir dies
schnell hinter uns«, sagte der Inquisitor so leise, dass es der Bote
nicht hören konnte.
»Ist es nicht eine
Ehre, von Seiner Eminenz empfangen zu werden?«, fragte ich.
»Seine Eminenz führt
zwar auch den Titel eines gelehrten Mannes, doch beherrscht er in Wahrheit
so wenig Latein, dass er nicht einmal die Heilige Schrift lesen kann«,
antwortete Meister Philippe und lächelte dünn.
»Der Oberhirte der
Christenheit zu Paris ist, das muss ich leider einräumen, ein Mann
eher von dieser Welt als von der jenseitigen. Er verkauft Pfarreien wie
gewöhnliches Land, er handelt mit Pfründen, als wären es
bloße Stoffballen.
Jean Courtecuisse ist der jüngste
Spross einer mächtigen Adelsfamilie. Wiewohl er keine zwei Sätze
zu lesen
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