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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Meister Philippes Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Kein Wort auch
     von Klara.
    Auf meinem Weg zum Viertel
     der Schlachthöfe passierte ich morgens und abends die Seine-Insel und
     sah auf den Hafen. Dort lag die Kogge unbeweglich wie eine schwimmende
     Burg. Die Arbeiten der Matrosen schienen eingestellt worden zu sein, doch
     ich wusste nicht, ob ich dies als gutes oder schlechtes Zeichen zu deuten
     hatte. Waren die Vorbereitungen für eine große Reise bereits
     abgeschlossen und musste ich deshalb jede Stunde mit dem Auslaufen der
     »Kreuz der Trave« rechnen? Oder war, im Gegenteil, diese
     Abreise auf unbestimmte Zeit verschoben worden?                  
    Gerne hätte ich die
     Reedersgattin wiedergesehen. Warum es verschweigen? Ich wollte ihr nicht
     nur Fragen stellen, ich sehnte mich auch nach ihrem Körper und ihren
     Liebkosungen. Ihr Bild erschien mir oft im Schlaf — und stets waren
     es wollüstige Träume, die mich dann übermannten. Wie froh
     war ich nun, dass ich nicht im Schlafraum mit Dutzenden Mitbrüdern nächtigen
     musste! Denn was hätten die wohl gedacht, hätten sie mich im
     Schlaf stöhnen gehört wie einen brünstigen Hirschen?
    Doch war meine Scham über
     diese sündigen Nachtgesichter nicht halb so groß wie meine
     Erleichterung an jedem Morgen, da ich gewahr wurde, dass ich von Klara
     geträumt hatte.
    Denn in den Nächten, in
     denen ich nicht von meiner Geliebten fantasierte, sah ich im Schlaf das
     leere Gesicht der toten Jacquette, über das sich ein Schatten beugte,
     von dem eine Furcht erregende Kälte ausging. Trotz dieser Kälte,
     die mir ins Herz fraß, wachte ich dann stets schweißgebadet
     auf und konnte nicht wieder Ruhe finden, bis mich die Glocke zur Prim
     rief.
    So verstrichen meine Nächte
     mal in sündigen, mal in Schrecken erregenden Träumen, in denen
     stets eine Frau meine Seele gefangen nahm. Und in den hellen Stunden wuchs
     meine Unruhe. Denn wurde nicht mit jedem Tag, der nutzlos verstrich, die
     Gefahr auch für die beiden Frauen größer, deren Schicksal
     mir nicht nur am Herzen lag, sondern das ich auch noch mitzugestalten
     hoffte? Vielleicht verfolgte der Schatten nicht Lea oder Klara, doch
     konnte ich da sicher sein? Da ich nicht wusste, warum er tötete,
     wusste ich auch nicht, ob der Tochter des Geldwechslers oder der Gattin
     des Reeders — oder gar beiden — der Tod drohte.
    Die einzige Abwechslung in
     jenen langen, zäh dahinfließenden, erschöpfenden, drückenden
     sieben Tagen waren die Bauern aus dem Umland, die frisch geschnittenes Heu
     für das Vieh nach Paris brachten. Überall, so schien mir,
     stapelten sich nun Ballen, vor Häusern, auf Marktplätzen und am
     Seine-Ufer. Der herbe, doch frische Geruch nach Heu milderte den Gestank
     der sommerheißen Stadt, selbst im Viertel der Färber und
     Gerber.
    Doch Meister Philippe
     betrachtete die Männer und Frauen vom Land sorgenvoll. »Es sind
     weniger als in den Jahren zuvor«, murmelte er, »viel weniger.
     Die Ernte muss schlecht sein dieses Jahr. Oder es gibt nicht genug Bauern,
     sie einzubringen.«
    »Wo mögen die
     Bauern sein?«, fragte ich.
    Doch darauf gab der
     Inquisitor keine Antwort und schlug nur das Kreuz.
    *
    Am achten Tage kam in aller
     Frühe ein Diener zum Kloster. Er trug das Wappen des Bischofs von
     Paris.
    »Damit habe ich schon längst
     gerechnet«, seufzte Meister Philippe, als er des Boten gewahr wurde.
    Und tatsächlich: Der
     Diener überreichte uns ein Schreiben, in dem wir - in ebenso höflicher
     wie unmissverständlicher Sprache - aufgefordert wurden, uns sofort
     bei Magister Jean Courtecuisse zu melden, dem ehrwürdigen Bischof von
     Paris.
    »Bringen wir dies
     schnell hinter uns«, sagte der Inquisitor so leise, dass es der Bote
     nicht hören konnte.
    »Ist es nicht eine
     Ehre, von Seiner Eminenz empfangen zu werden?«, fragte ich.
    »Seine Eminenz führt
     zwar auch den Titel eines gelehrten Mannes, doch beherrscht er in Wahrheit
     so wenig Latein, dass er nicht einmal die Heilige Schrift lesen kann«,
     antwortete Meister Philippe und lächelte dünn.
    »Der Oberhirte der
     Christenheit zu Paris ist, das muss ich leider einräumen, ein Mann
     eher von dieser Welt als von der jenseitigen. Er verkauft Pfarreien wie
     gewöhnliches Land, er handelt mit Pfründen, als wären es
     bloße Stoffballen.
    Jean Courtecuisse ist der jüngste
     Spross einer mächtigen Adelsfamilie. Wiewohl er keine zwei Sätze
     zu lesen

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