In Nomine Mortis
Auftrag zu geben, noch hätte ich Meister Philippe oder dem Prior
zu enthüllen gewagt, warum ich überhaupt für eine sündige
Schönfrau etwas Derartiges erbeten wollte.
Ich war der einzige Mensch
auf GOTTES Welt, der um Jacquette trauerte. Und da selbst ich nicht einmal
hoffen durfte, ihrer Beerdigung beizuwohnen, wusste ich nicht, wo ihr Grab
zu finden sein mochte. Nichts mehr würde an die junge, unglückliche
Frau erinnern, nur die Bilder in meinem Herzen.
Dann schweiften meine
Gedanken zu den beiden anderen Frauen, die das Schicksal hier in Paris mit
meinem Lebensweg verwoben hatte. Würde ich wenigstens Klara und Lea
schützen können? Oder — ich wagte kaum, mir dies
einzugestehen — war ich vielleicht gar derjenige, der ihnen das Unglück
brachte? Würde Jacquette noch leben, hätte sie sich mir nicht
offenbart? Bedrohten die Geheimnisse, die mir die Reedersgattin und die
Tochter des Geldwechslers anvertraut hatten, nun auch deren Leben? Was
sollte ich bloß tun, um ihnen beizustehen?
Verzweiflung wollte mich
übermannen. Ich fühlte mich hilflos in einem Gespinst aus düsteren
Geheimnissen und unlösbaren Rätseln. Wusste ich mehr über
die terra perioeci als noch vor einigen Tagen? Nein.
Hatte ich Pierre de Grande-Rue gestellt? Nein. Wusste ich, ob Nechenja ben
Isaak etwas mit dem Vaganten zu schaffen hatte? Nein. Wusste ich, wer
jener Schatten war, vor dem sich Jacquette so sehr fürchtete und dem
sie schließlich erlag? Nein.
Ein Novize war ich in der
heilbringenden, doch ungemein verwirrenden Arbeit der Inquisition. Es war
mir nur ein schwacher Trost, dass auch ein Meister wie Philippe de
Touloubre diese Geheimnisse bisher nicht entschleiern konnte.
Geheimnisse, zu denen sich
mir nun ein neues gesellte: das des Baders Nicolas Garmel. Hatte ich mich
nur getäuscht, als ich sein Gesicht für einen ungestört
geglaubten Moment beobachtete? Oder hatte er tatsächlich etwas
verschwiegen?
Ich fragte mich, was er an
der toten Schönfrau gesehen hatte, das ich nicht wahrgenommen hatte.
13
DIE BEUTE DES VAGANTEN
Die nächsten sieben Tage
wurden mir zur Qual: sieben Tage, in denen ich jeden Morgen mit Meister
Philippe zum Viertel rund um die Schlachthöfe ging, nun stets
begleitet von einem Sergeanten. Wir suchten nach Pierre de Grande-Rue und
befragten bis in die Stunden der Dunkelheit wohl drei Dutzend und mehr
Schlachter, Träger, Färber und liederliche Frauenzimmer jeden
Tag. Manche erinnerten sich an den Vaganten - und fast schien mir, als hätten
sie alle Angst vor ihm -, doch niemand hatte ihn gesehen, seit er uns
entflohen war.
Meister Philippe ließ
auch elende und ehrlose Gestalten zu sich kommen, die mir zunächst
eines Dominikaners und erst recht eines Inquisitors unwürdig
schienen: Bettler, fahrende Messerschleifer, Lumpenhändler, ja
Dungsammler und Leichenträger und sogar einen Henker. Viele von ihnen
schien er, zu meinem nicht geringen Erstaunen, gut zu kennen. Er fand
freundliche Worte für jeden. Dann schickte er sie wieder fort, zurück
zu den Orten, wo sie ihren wenig erbaulichen Gewerben nachgingen. Jedem
gab er den Auftrag mit: »Suche nach Pierre de Grande-Rue! Wenn du
ihn siehst, so eile zum Dominikanerkloster und melde dich bei mir! Wie spät
die Stunde auch sein möge, ja selbst während einer Messe —
zögere nicht einen Augenblick, dich mir zu offenbaren! GOTTES Segen
und mein Wohlwollen werden dir sicher sein.«
So entließ Meister
Philippe die Elenden und Schmutzigen in die Gossen von Paris. Und langsam
begriff ich, dass sie, auf die niemand ein Auge warf, ihrerseits die Augen
der Inquisition waren. Ich bewunderte Meister Philippe dafür nur noch
umso mehr - und fürchtete ihn doch auch zugleich. Denn ich erinnerte
mich schamhaft meiner Abenteuer in der Stadt und fragte mich nun des
Öfteren, ob nicht auch ich den tausend Augen der Inquisition schon
aufgefallen war. Doch blieben diese Momente der Unsicherheit selten, denn
zumeist trieb mich die Unrast eines gefangenen Tieres. Ich wollte nach dem
Land der Periöken forschen — und durfte es doch nicht. Lea
hatte sich nicht einmal vor dem Kloster blicken lassen. Vielleicht hatte
sie noch nichts entdeckt. Gut möglich aber auch, dass sie gesehen
hatte, wie ich täglich mit dem Inquisitor auf die Straße trat.
Da mochte sie sich gefürchtet haben und hielt sich verborgen, um
nicht
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