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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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etwas geben, das
     ihn an die Seine gelockt hat. Einen Mann wie ihn, den locken weder
     Seelenheil noch Ruhm — den lockt nur das Geld. Ich muss an die Münzen
     denken, die Heinrich von Lübeck am Tage seines Todes bei sich
     getragen hat…« Seine Stimme verlor sich in einem
     gedankenvollen Murmeln, während wir durch die Stadt eilten.
    Während der Geist von
     Meister Philippe um den toten Mitbruder und den rätselhaften Reeder
     kreiste, hatte ich nur Klara Helmstede im Sinn.
    Als wir das Kloster
     erreichten, erwartete uns dort bereits das nächste Problem: Ein
     zerknirscht dreinblickender Sergeant de la Douzaine — allerdings
     keiner der beiden Kerle, die wir am Ort jenes schändlichen
     Verbrechens angetroffen hatten — war vom Portarius in den kargen
     Raum neben der Kirche geführt worden, in dem sich Gäste
     aufhalten durften. Er verbeugte sich, stammelte etwas Unverständliches
     und rückte erst nach einigem Hin und Her damit heraus, dass sich
     Jacquette nicht mehr im Gewahrsam der Sergeanten befand. »Sie ist
     geflohen?«, rief der Inquisitor ungläubig. Der Sergeant, er war
     noch sehr jung, wurde rot. »Jacquette La Pigeonette ist eine Dirne«,
     stammelte der Wächter, »eine sehr raffinierte Dirne und
     vielleicht eine Hexe zudem. Sie hat die beiden Sergeanten, die sie in den
     Kerker fuhren sollten, mit einem magischen Spruch belegt, sodass sie, wie
     die beiden später aussagten, plötzlich nichts mehr sahen, so als
     gingen sie durch einen dichten Nebel. Als sich ihre Augen endlich wieder
     aufklarten, da war die Schönfrau fort.«
    »Hinfort auch mit dir«,
     grollte der Inquisitor und schickte den Sergeanten mit einer verärgerten
     Handbewegung hinaus, ohne ihm den Segen zu erteilen.
    »Welcher Art die
     Hexerei dieser Schönfrau ist, das kann ich mir denken«, sagte
     er, nachdem der Wächter gegangen war. Ich bekreuzigte mich
     erschrocken, doch Meister Philippe lachte nur grimmig.
    »Dazu bedurfte es
     wahrscheinlich keiner besonderen satanischen Künste, sondern nur
     jener Sünde der Verführung, die jedes Weib beherrscht. Jacquette
     wird den Wächtern ihre Dienste angeboten haben. Entweder ließen
     die Sergeanten die Dirne dann freiwillig laufen oder sie ist geflohen, während
     den beiden Wächtern noch die Hosen um die Fußknöchel
     hingen.«
    Ich blickte ihn empört
     an, doch der Inquisitor atmete nur tief durch, murmelte ein kurzes Gebet
     und bezwang so seinen aufbrausenden Zorn. »Verzeih, mein junger
     Bruder«, sagte er dann. »Ich habe einen Moment nicht mehr
     daran gedacht, dass man dergleichen nicht in unseren frommen Studien
     lernt. Doch ich habe Ähnliches schon viel zu häufig sehen müssen,
     als dass mich dies noch überraschen würde. Den Zorn jedoch, den
     kann ich selbst nach all den Jahren kaum bemeistern. Welche Kräfte
     hat doch das Weib!«
    Fürwahr, da sprach mir
     der Inquisitor aus der Seele. Denn tief in mir, da jauchzte eine leise, sündige
     Stimme über den Streich der Schönfrau und freute sich, dass
     Jacquette nicht im Kerker schmachten musste. In meinem Geiste beschwor ich
     ihr Bild herauf, wie sie uns, sich aus dem Schlamm der Straße
     erhebend, im Schatten von Notre-Dame gegenübertrat. Ihre Züge
     vermischten sich mit denen von Klara Helmstede und meine Seele brannte in
     den Feuern von Wollust und Scham.
    In jener Nacht gedachte ich
     der Mahnungen von Meister Philippe und bezwang mein Bedürfnis, mich
     wieder zum Altar zu schleichen und dort in Demut um die Vergebung meiner Sünden
     zu flehen. Stattdessen legte ich mich gehorsam auf meine Pritsche, doch
     der Schlaf wollte auch diesmal nicht über mich kommen. In meiner
     Seele tanzten Heinrich von Lübeck mit seinen toten Augen, ein
     gesichtsloser, sterbender Kapitän, ein verängstigter Reeder und
     ein Geisterschiff einen wilden, satanischen Reigen um einen riesigen Kopf,
     der, einer Chimäre gleich, mal die Züge einer sündigen Schönfrau
     annahm und mal die einer respektablen Lübecker Bürgerin. Erst
     nach den Nocturnes um Mitternacht, zu denen ich mich, schwankend vor Erschöpfung,
     wie ein Kranker geschleppt hatte, fiel ich endlich in einen tiefen
     Schlummer — doch sollte dieser viel zu kurz sein.
    Ich wachte auf, lange vor dem
     Morgengrauen. Es mochte die letzte Stunde der Nacht sein, bald würde
     ein Bruder zu den Laudes läuten. Doch noch war es zu früh, um in
     die Kirche zu gehen. Ich lag, gerädert, als wäre ich von den
     Folterern der Inquisition

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