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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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mir bisher gar nicht aufgefallen war. Er war klein und
     hager, ziemlich alt, fast zahnlos und von der Gicht gekrümmt. Er
     hatte sich aufgerichtet und nun rief er mit hoher Stimme, während ihm
     Speichel aus den Mundwinkeln floss: »Die Menschen werden sterben wie
     die Ratten! Ohne Trost des HERRN! Denn der HERR zürnt unserem
     Menschengeschlecht und wird es vertilgen ob unserer Sünden. Furunkel
     werden die sündige Haut der Menschen überziehen, sie werden
     aufplatzen und faulige Miasmen werden ihnen entweichen! Und Weiber wie Männer
     werden Blut spucken und sterben am dritten Tag! Ich kann dies bezeugen,
     denn ich habe es schon gesehen zu Jerusalem!«
    Für ein paar Augenblicke
     waren alle Menschen im riesigen Hause GOTTES vollkommen erstarrt, als
     diese Stimme mit ihren schrecklichen Prophezeiungen zwischen den Säulen
     hallte und zum Himmel hin verklang. Doch dann lachten zwei Buben lauthals
     und riefen ihm Hohnworte zu. Und als wäre dies ein Zeichen, so wich
     unser aller Beklemmung.
    Die Matrone vertiefte sich
     wieder ins Gebet, ich wandelte - äußerlich demutsvoll, wie es
     sich für einen Mönch geziemt — langsam durch das
     Kirchenschiff. Kurz darauf eilten einige Knechte der Domherren herbei,
     griffen dem immer lauter und schrecklicher schreienden Alten links und
     rechts unter den Arm und zerrten ihn zum Portal, wo sie ihn mit Tritten
     und Hieben hinauswarfen.
    Ich dankte GOTT, dass er mir
     jenen Wahnsinnigen geschickt hatte, denn seine erschreckenden Worte
     lenkten mich von meinen eigenen Gedanken ab.
    Oh, hätte ich mich doch
     an das Wort erinnert, dass aus dem Munde der Verwirrten oft die Wahrheit
     am reinsten erklingt! So aber dachte ich nur an mich und meine Sünden
     - und hatte, kaum dass er fortgeschafft worden war, die düsteren
     Prophezeiungen des namenlosen Alten schon wieder halb vergessen.
    In dem kleinen Tumult hatte
     ich Meister Philippe kurz aus den Augen verloren. Daher war ich überrascht,
     ja fast erschrocken, als der Inquisitor plötzlich vor mir stand.
     »Wir wollen gehen«, sagte er bestimmt.
    Wir verließen
     Notre-Dame durch das Südportal. Zu unserer Linken erhoben sich die
     Streben des Chores zu einem gewaltigen, sich wölbenden steinernen
     Wald. Zwischen den Kapellen, Pilastern und Pfeilern stand allerlei Volk:
     Marketender, die mit lauten Stimmen Esskastanien und Nüsse anpriesen;
     Krüppel und Bettler, die um Almosen flehten; alte Weiber, die Kirchgängern
     kleine Kerzen anboten - und einige Frauen, die scheinbar müßig
     im Schatten der großen Streben standen und manchen Männern, die
     an ihnen vorüberliefen, Worte zuriefen, die ich nicht verstehen
     konnte. Ich sah einen Mann, der daraufhin stehen blieb und kurz mit einem
     der Mädchen flüsterte, bevor sie zusammen tiefer hineingingen
     ins Dickicht der Streben, wo die Schatten selbst zur Mittagsstunde so
     dicht sind, dass das Auge sie kaum zu durchdringen vermag.
    »Wieder eine Todsünde
     mehr«, bemerkte Meister Philippe, der meinem Blick gefolgt war, und
     schlug das Kreuz. »Jetzt, da ich mit den Domherren geredet habe,
     wundere ich mich allerdings nicht mehr, dass sie diesem wollüstigen
     Treiben im Schatten von Notre-Dame keinen Einhalt gebieten.«
    »Ihr habt den Mann
     gefunden, der Jacquette …«, fragte ich, doch ließ ich
     den Satz unvollendet.
    Der Inquisitor schüttelte
     den Kopf. »Selbstverständlich leugnen sie alle. Selbstverständlich
     sind sie empört, dass ich, nur aufgrund der Aussage einer verderbten
     Sünderin, überhaupt in Erwägung ziehen kann, dass ein
     Domherr zu Notre-Dame zu so einer Tat fähig wäre. Und
     selbstverständlich boten sie mir trotzdem ihre brüderliche Hilfe
     bei meinen Nachforschungen an.«
    Meister Philippe schnaubte
     verächtlich. »Fürwahr, ich glaube, ich könnte jeden
     dieser feinen Diener GOTTES der Wollust wegen anklagen und ich würde
     immer den Richtigen treffen. Doch in Paris wird schon so viel geredet, die
     guten Bürger der Stadt sind in Angst. Du hast ja selbst gerade gehört,
     wer alles das Wort zu erheben wagt in diesen Tagen. Da kann ich schlecht
     alle zwölf Domherren von Notre-Dame offiziell vor ein
     Inquisitionsgericht laden. Was gäbe das für ein Gerede!«
    Meister Philippe lachte und
     schien sich offensichtlich doch genau jene Szene vorzustellen. Dann schüttelte
     er den Kopf. »Ein paar Zeichen — ein unbedachtes Wort von ihm,
     die kleine, gehässige Bemerkung eines anderen Domherrn - lassen

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