In Nomine Mortis
befragt worden, auf der Pritsche und fragte mich
benommen, was mich wohl geweckt haben mochte.
Da vernahm ich es erneut.
Schritte.
Ich hob meinen Kopf und
horchte — es gab keinen Zweifel: Jemand ging den Gang vor meiner
Zelle entlang. Ich konnte die leisen Schritte von zwei, drei, wohl noch
mehr Menschen unterscheiden. Für einen Moment glaubte ich, dass sich
alle meine Mitbrüder zu einer nächtlichen Messe versammeln würden
und nur ich, der ich aus der Fremde kam, von ihr ausgeschlossen wäre.
Vorsichtig erhob ich mich von
meiner Schlafstatt und trat geräuschlos an die Tür, wo ich mit
dem Ohr an den Brettern lauschte. Ich konnte leise Stimmen vernehmen, doch
konnte ich kein Wort verstehen. Einmal fiel der unruhige Schein einer
kleinen Kerze durch den Spalt unter meiner Tür in meine Zelle. Ich
presste mich erschrocken an die Wand und wagte nicht mehr zu atmen. Mein
Herz hämmerte mir im Halse und ich glaubte, dass jeden Augenblick ein
nächtlicher Besucher - aber wer? - in meine Zelle treten würde.
Doch der Lichtschein
verlosch, das Murmeln verklang, die Schritte verhallten.
Erst nach einer Zeit, die mir
unendlich lang vorkam, die jedoch kaum mehr als eine Viertelstunde
betragen haben mochte, wagte ich es, meine Tür um eine Handbreit zu
öffnen und in den düsteren Flur hinauszuspähen.
Nichts. Das Kloster war,
soweit ich sehen und hören konnte, ruhig wie eine Gruft.
Ich warf mich wieder auf
meine Pritsche und fiel in einen wirren Traum, an dessen Einzelheiten ich
mich nicht mehr erinnern konnte, als mich die Glocke zu den Laudes rief.
In der Kirche, als meine Brüder und ich die Psalmen anstimmten, sagte
ich mir, dass auch die nächtlichen Schritte und Stimmen meinem Traum
entsprungen sein mussten. Wer sollte es wagen, nachts durch ein Kloster
der Dominikaner zu schleichen? Welcher Mönch würde dies tun?
Welcher Fremde so verwegen sein?
So hatte ich mich bis zum
Ende der Laudes schon selbst überzeugt, dass ich Opfer einer Täuschung
der Nacht gewesen war. Doch als ich erleichtert zu meiner Zelle zurückging,
um mir vor dem Morgenmahl die Hände zu waschen, da erblickte ich im
ersten fahlen Dämmer des Tages auf dem Gang kurz vor meiner Zellentür
einen kleinen weißen Fleck auf dem Boden. Einen frischen Tropfen
Kerzenwachs.
Später, beim Morgenmahl,
rang ich mit mir, ob ich Meister Philippe von dem nächtlichen Spuk
erzählen sollte. Vielleicht hatte er eine simple Erklärung dafür?
Womöglich würde meine Erzählung seinen inquisitorischen
Ehrgeiz wecken und ihn dazu anspornen, dieses Rätsel zu lösen?
Doch schließlich sagte ich mir, dass die nächtlichen Geräusche
wohl kaum etwas mit den schwer wiegenden Untersuchungen zu tun haben
mochten, die uns der Prior aufgetragen hatte. Außerdem wusste ich
viel zu wenig, um Meister Philippe irgendetwas Sinnvolles vortragen zu können
- er würde mich auslachen. Und schließlich war ich doch nun
selbst Inquisitor. Warum also sollte ich meinen Geist und meine Sinne
nicht darin üben, jenes nächtliche Geheimnis allein aufzuklären?
Dann, so sagte ich mir in
meiner Vermessenheit, gäbe es ja immer noch Gelegenheit genug, mich
Meister Philippe zu offenbaren. Wie töricht doch der Hochmut macht
und wie eifrig das Bemühen ist, seinem Oberen zu gefallen, wenn man
gesündigt hat!
5
IN DER KATHEDRALE
NOTRE-DAME
Nach dem Morgenmahl begaben
Meister Philippe und ich uns zur Kathedrale Notre-Dame.
»Es hätte mir, ich
gestehe diese Sünde gern, ein gewisses Vergnügen bereitet, die
Schönfrau zur Messe fuhren zu lassen. Dort sitzen die zwölf
Domherren zu Notre-Dame auf ihren hohen Stühlen im Chor- und unser
Dirnchen hätte Muße gehabt, sie eingehend zu betrachten.
Vielleicht hätte sie sich dann doch erinnert, welchem der
fleischeslustigen Diener des HERRN sie in jener fatalen Nacht begegnet
sein mag. Doch stark ist die Sünde des Weibes, stärker
jedenfalls als mancher Plan eines Inquisitors.« Meister Philippe
seufzte, schien jedoch nicht wirklich betrübt zu sein.
»Nun denn, dann werde
ich die Domherren nach der Messe einzeln befragen. Wir wollen ja kein unnötiges
Aufsehen erregen. Geredet wird in Paris sowieso schon genug.«
So kam es, dass wir uns zum
Ende der Messe in GOTTES wundersames Haus schlichen wie zwei Diebe in der
Nacht. Unauffällig trat Meister Philippe zu einem großen,
rotgesichtigen Domherrn: Es war,
Weitere Kostenlose Bücher