In Nomine Mortis
wie ich später erfahren sollte,
Nicolas d'Orgemont, der Dekan der zwölf Domherren.
Für einen Moment glaubte
ich schon, den Geistlichen vor mir zu sehen, der seine Gelüste an
Jacquette ausgelebt hatte - passte ihre Beschreibung denn nicht perfekt
auf ihn? Doch als ich die unchristliche Wut, die sich meiner Seele bemächtigen
wollte — und die meinen eigenen sündigen Gedanken mindestens
genauso entsprang wie gerechtfertigtem Zorn —, bemeistert hatte, da
erkannte ich, dass elf der zwölf Domherren feist und rotgesichtig
waren. Nur einer war hager, hochgewachsen und schon im Greisenalter. Ihm
allein traute ich jene nächtliche Unzucht nicht zu.
Der Inquisitor nahm Nicolas
d'Orgemont beiseite und flüsterte ein paar Worte mit ihm. Dann zogen
sich die beiden, zu meiner großen Enttäuschung, in eine Nische
neben einer Kapelle im Chorumgang zurück. Ich erkannte die Absicht
von Meister Philippe. Er wollte jeden Domherrn einzeln befragen —
doch so, dass es einfachen Gläubigen, die auch jetzt noch in großer
Zahl im Kirchenschiff wandelten, beteten, vor den Beichtstühlen
anstanden oder Kerzen entzündeten, nicht weiter auffiel.
Und mich, den jungen Mönch
aus der Fremde, ließ er bei diesen delikaten Befragungen diskret außer
Hörweite warten. Deshalb sagte ich mir denn, dass Demut eine der schönsten
Tugenden eines Mönches sei — und ich mich nun in ihr üben
durfte.
So kniete ich mich vor den
großen Altar und verharrte im Gebet, während der Inquisitor
einen Domherrn nach dem anderen in abgelegenen Winkeln der Kathedrale zum
brüderlichen Gespräch bat. Doch mein Flehen zu GOTT kam nicht
aus tiefster Seele. Zwar murmelte ich die Bußformeln, doch noch während
ich dies tat, schweifte mein Blick ab vom Altar. Ich betrachtete die reich
verzierte Chorschranke - dort sah ich fein gearbeitete Skulpturen: Im
Mittelpunkt stand der Engel, der Maria verkündete, dass sie den
Heiland empfangen habe. Et ingressus angelus ad eam dixit have gratia plena Dominus tecum
benedicta tu in mulieribus.
Die Heilige Mutter GOTTES
hatte der Künstler allerliebst dargestellt. Sie war eine junge
Prinzessin, ihr schlanker Körper umhüllt von einem wallenden
Gewand, ihre langen wunderschönen Haare kunstvoll geflochten, der
Blick demutsvoll gesenkt, das anmutige Gesicht fein und makellos.
Doch Frömmigkeit erfüllte
mich nicht bei diesem Anblick, im Gegenteil. Oh, ich schaudere selbst
jetzt noch, nach so vielen Jahren und so vielen Sünden, dies dem
Pergament anzuvertrauen, doch ich muss gestehen, dass mir an jenem Tag in
Notre-Dame der Anblick der Heiligen Maria ganz andere Dinge ins Gedächtnis
rief. So inbrünstig ich auch meine Gebete murmelte, so hoffnungslos
waren diese Exerzitien, denn unaufhaltsam stieg das Bild von Jacquette in
meinem Geiste auf. Ich blickte auf das liebevolle Gesicht der Mutter
GOTTES - und sah doch nur die Schmutz starrenden, müden, verängstigten
Züge der Schönfrau. Ich blickte auf das kostbare Gewand der
Himmelskönigin — und sah doch nur die Lumpen der Dirne. Und als
ich an diese Lumpen dachte, kam mein Geist wie durch einen unentrinnbaren
Zwang gelenkt auf den Leib, den jene Lumpen wohl verdecken mochten. Die
Hitze lief durch meinen Körper wie ein Fieber und ich schämte
mich, denn ich wusste sehr wohl, dass dies keine Krankheit des Körpers
war, sondern eine der Seele. Ich zwang mich zum Aufstehen, verbeugte mich
vor dem Abbild des gekreuzigten Heilands und riss meinen Blick los von
jener Szene in der Chorschranke. Doch kaum hatte ich mich umgedreht, da
erblickte ich zufällig in einer der Bänke eine reich gekleidete
Bürgerin, völlig in ihr Gebet versunken. Sie war eine würdige
Matrone mit ergrautem Haar und einem machtvollen Körper, doch sie
trug einen Schleier über dem Haupt, ganz ähnlich dem, den ich
erst vor kurzer Zeit erblickt hatte.
So wurden meine Gedanken plötzlich
auf Klara Helmstede und auf ihr Lächeln gelenkt. Und meine Seele
entkam auch jetzt nicht der Sünde der Wollust. Oh, wie ich mich schämte!
Ich weiß nicht, wie weit meine verderbten Fantasien mich noch
getragen hätten, doch an jenem Tag war es der HERR selbst, der mich
rettete, indem er mir einen vom heiligen Wahnsinn Geschlagenen schickte.
»Das Ende der Welt ist
nah! Bereut, solange ihr noch Reue zeigen könnt!«, rief plötzlich
ein Mann, der
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