In Nomine Mortis
Rufen wurde
einer der Gäste, halb geschmeichelt von den Anfeuerungen der Zecher,
halb verlegen, auf den Tisch gehoben. Es war ein Mann mit dem
Antoniusfeuer. Er war kaum dreißig Jahre alt und in ihm brannte die
Geißel des inneren Feuers. Die schäbige wollene Tunika gab den
Blick auf seine Arme frei, deren Haut gerötet war, als hätte er
in Brennnesseln gelegen. Seine Finger waren zu schwärzlichen Klauen
verformt. Der Mann war lahm, Speichel troff von seinem Mund.
»Erzähle uns
Fabliaux, Honore!«, rief ein dicker Mann neben uns, der schon zur
Mittagszeit rot und trunken war.
Honore hob seine schwärzliche
Rechte - und wunderbarerweise kehrte fast klösterliche Stille ein an
diesem sündigen Ort. Ich wand mich in Seelenqualen, auch wenn ich
mich bemühte, mein Äußeres unbewegt zu halten. Fabliaux,
das immerhin wusste selbst ein Mönch wie ich, waren lästerliche
Geschichten. Es ziemte sich nicht für einen Mann GOTTES, ihnen zu
lauschen. Doch was hätte ich tun sollen? Ich murmelte ein Gebet und
erflehte SEINE Vergebung, doch bewegte ich dabei kaum die Lippen und
sprach so leise, dass nicht einmal Meister Philippe neben mir ein Wort
vernahm. Honore stand schwankend auf dem Tisch und einen Moment befürchtete
— oder erhoffte — ich, dass er hinunterfallen könnte. Er
kratzte sich mit seinen Klauenhänden die brennende Haut, sah uns mit
irrem Blick an — und begann dann zu erzählen. Ich vermag seine
Worte kaum wiederzugeben. Doch — ich gestehe es zu meiner Schande
— ich lauschte jedem seiner Sätze, als wären sie eine
Predigt. Seine Stimme war leise, ja sanft, als spräche er beruhigend
zu einem Kind. Jedermann konnte sehen, dass sein Geist nicht bei ihm war
— und dass etwas Anderes, Höheres aus ihm sprach. Honore hub
unvermittelt an, ohne Begrüßung, ohne Einleitung, so, als hätte
er irgendwann einmal seinen Monolog unterbrochen und würde ihn nun
einfach fortsetzen.
Er erzählte vom Fluch
der Templer, der den König hinweggerafft habe und seine Familie bis
hinein ins siebte Glied. Den Papst dazu. Und nun auch die Stadt Paris und
ihre Bürger. Denn, und hier hob er etwas die Stimme, großes
Ungemach drohe uns allen. Ich vernahm aus seinem Munde, dass Menschen in
Sizilien starben wie die Fliegen, im Hafen von Messina, wo eine Galeere
eingelaufen war mit sterbenden Männern an Bord, ein Totenschiff, so
wahr uns GOTT helfe. Auch in Rom, das vom Papst verlassen sei, habe nun
der Tod die Herrschaft übernommen. Genauso wie in Avignon, wohin der
Herr der Kirche sich unrechtmäßigerweise zurückgezogen
habe. Und nun komme das Sterben näher, jeden Tag ein Stück. Auf
den Straßen schreite es voran und entlang der großen Flüsse.
Ein Geist, ein Gespenst, ein unsichtbares Leichentuch, ein Fluch des
HERRN.
Dann, unvermittelt, so als
gehöre beides zusammen, erzählte er, wie der Henker von Paris
vor einigen Wochen einem Ritter, der eine Jungfrau aus edlem Haus geschändet
und erstochen hatte, den Kopf abhauen wollte. Dabei habe der Holzblock,
auf den das Schwert niedersauste, bedrohlich hin und her geschwankt
— ein böses Omen. Und siehe, kaum eine Woche später habe
der Henker selbst im Grabe gelegen. Den Körper des Ritters aber hätten
die Armen von Paris, so wie sie es oft mit den Leichen Verurteilter
machten, nachts heimlich aus seiner Gruft geholt, Schenkel und Arme
abgetrennt und verspeist. Die Burgundischen und die Englischen lägen
im Land, der König sei hilflos, die Königin böse —
und was sollten die Armen sonst essen? Er hatte diese abscheuliche
Geschichte kaum beendet — wir alle lauschten ihm atemlos -, da zählte
er die nächsten bösen Omen auf: Ein Blitz habe eingeschlagen in
der Kirche des Leprösenhospizes von Saint-Lazare. Mit seinen Klauenhänden
bekreuzigte sich Honore — und wir taten es ihm nach.
Dann erzählte Honore plötzlich
von einem toten Mönch im Schatten von Notre-Dame - und einem ehrlosen
Vaganten, der dahergekommen sei und den Verstorbenen ausgeraubt habe.
»So sind selbst im Tode die armen Brüder nicht mehr sicher«,
sagte er mit seiner sanften Stimme.
Weiter und weiter gingen
seine Geschichten, doch Meister Philippe und ich hörten nicht länger
zu. Ich musste mich bezwingen, um nicht erregt aufzuspringen und zu dem
Erzähler zu rennen, ihn zu schütteln und dazu zu bringen, uns
mehr zu erzählen, alles, was er über den Tod
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