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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Rufen wurde
     einer der Gäste, halb geschmeichelt von den Anfeuerungen der Zecher,
     halb verlegen, auf den Tisch gehoben. Es war ein Mann mit dem
     Antoniusfeuer. Er war kaum dreißig Jahre alt und in ihm brannte die
     Geißel des inneren Feuers. Die schäbige wollene Tunika gab den
     Blick auf seine Arme frei, deren Haut gerötet war, als hätte er
     in Brennnesseln gelegen. Seine Finger waren zu schwärzlichen Klauen
     verformt. Der Mann war lahm, Speichel troff von seinem Mund.
    »Erzähle uns
     Fabliaux, Honore!«, rief ein dicker Mann neben uns, der schon zur
     Mittagszeit rot und trunken war.
    Honore hob seine schwärzliche
     Rechte - und wunderbarerweise kehrte fast klösterliche Stille ein an
     diesem sündigen Ort. Ich wand mich in Seelenqualen, auch wenn ich
     mich bemühte, mein Äußeres unbewegt zu halten. Fabliaux,
     das immerhin wusste selbst ein Mönch wie ich, waren lästerliche
     Geschichten. Es ziemte sich nicht für einen Mann GOTTES, ihnen zu
     lauschen. Doch was hätte ich tun sollen? Ich murmelte ein Gebet und
     erflehte SEINE Vergebung, doch bewegte ich dabei kaum die Lippen und
     sprach so leise, dass nicht einmal Meister Philippe neben mir ein Wort
     vernahm. Honore stand schwankend auf dem Tisch und einen Moment befürchtete
     — oder erhoffte — ich, dass er hinunterfallen könnte. Er
     kratzte sich mit seinen Klauenhänden die brennende Haut, sah uns mit
     irrem Blick an — und begann dann zu erzählen. Ich vermag seine
     Worte kaum wiederzugeben. Doch — ich gestehe es zu meiner Schande
     — ich lauschte jedem seiner Sätze, als wären sie eine
     Predigt. Seine Stimme war leise, ja sanft, als spräche er beruhigend
     zu einem Kind. Jedermann konnte sehen, dass sein Geist nicht bei ihm war
     — und dass etwas Anderes, Höheres aus ihm sprach. Honore hub
     unvermittelt an, ohne Begrüßung, ohne Einleitung, so, als hätte
     er irgendwann einmal seinen Monolog unterbrochen und würde ihn nun
     einfach fortsetzen.
    Er erzählte vom Fluch
     der Templer, der den König hinweggerafft habe und seine Familie bis
     hinein ins siebte Glied. Den Papst dazu. Und nun auch die Stadt Paris und
     ihre Bürger. Denn, und hier hob er etwas die Stimme, großes
     Ungemach drohe uns allen. Ich vernahm aus seinem Munde, dass Menschen in
     Sizilien starben wie die Fliegen, im Hafen von Messina, wo eine Galeere
     eingelaufen war mit sterbenden Männern an Bord, ein Totenschiff, so
     wahr uns GOTT helfe. Auch in Rom, das vom Papst verlassen sei, habe nun
     der Tod die Herrschaft übernommen. Genauso wie in Avignon, wohin der
     Herr der Kirche sich unrechtmäßigerweise zurückgezogen
     habe. Und nun komme das Sterben näher, jeden Tag ein Stück. Auf
     den Straßen schreite es voran und entlang der großen Flüsse.
     Ein Geist, ein Gespenst, ein unsichtbares Leichentuch, ein Fluch des
     HERRN.
    Dann, unvermittelt, so als
     gehöre beides zusammen, erzählte er, wie der Henker von Paris
     vor einigen Wochen einem Ritter, der eine Jungfrau aus edlem Haus geschändet
     und erstochen hatte, den Kopf abhauen wollte. Dabei habe der Holzblock,
     auf den das Schwert niedersauste, bedrohlich hin und her geschwankt
     — ein böses Omen. Und siehe, kaum eine Woche später habe
     der Henker selbst im Grabe gelegen. Den Körper des Ritters aber hätten
     die Armen von Paris, so wie sie es oft mit den Leichen Verurteilter
     machten, nachts heimlich aus seiner Gruft geholt, Schenkel und Arme
     abgetrennt und verspeist. Die Burgundischen und die Englischen lägen
     im Land, der König sei hilflos, die Königin böse —
     und was sollten die Armen sonst essen? Er hatte diese abscheuliche
     Geschichte kaum beendet — wir alle lauschten ihm atemlos -, da zählte
     er die nächsten bösen Omen auf: Ein Blitz habe eingeschlagen in
     der Kirche des Leprösenhospizes von Saint-Lazare. Mit seinen Klauenhänden
     bekreuzigte sich Honore — und wir taten es ihm nach.
    Dann erzählte Honore plötzlich
     von einem toten Mönch im Schatten von Notre-Dame - und einem ehrlosen
     Vaganten, der dahergekommen sei und den Verstorbenen ausgeraubt habe.
     »So sind selbst im Tode die armen Brüder nicht mehr sicher«,
     sagte er mit seiner sanften Stimme.
    Weiter und weiter gingen
     seine Geschichten, doch Meister Philippe und ich hörten nicht länger
     zu. Ich musste mich bezwingen, um nicht erregt aufzuspringen und zu dem
     Erzähler zu rennen, ihn zu schütteln und dazu zu bringen, uns
     mehr zu erzählen, alles, was er über den Tod

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