In Nomine Mortis
Bald schon erblickte ich das nächste verendete Tier
und mir war klar, dass ich niemals zuvor so viele tote Ratten in den Straßen
von Paris — oder irgendeiner anderen Stadt — gesehen hatte.
Ich fragte mich, welcher Anblick sich mir wohl böte, gäbe es den
Nebel nicht. Würde ich Hunderte toter Ratten erblicken? Oder war es
vielmehr der Nebel, der die Tiere aus ihren Verstecken und ins Verderben
lockte? Auch wenn die verendeten Tiere keinen schönen Anblick boten,
so dankte ich doch im Gehen dem HERRN dafür, dass er zumindest diese
Plage von Paris linderte.
Wir überquerten zögernden
Schrittes die Seine auf dem Petit Pont, dann gingen wir über die
Insel — die Türme von Notre-Dame waren nicht mehr zu erkennen -
und schließlich ließen wir auch den Grand Pont hinter uns.
Am jenseitigen Ufer führte
mich Meister Philippe durch ein Gewirr verwinkelter Gassen. Bald schon
wusste ich nicht mehr, wo ich war, und ich bezweifelte, dass ich selbst
dann, wenn sich der Nebel lichten würde, meine Orientierung
wiedergefunden hätte. Schließlich gelangten wir in eine Straße,
die mir noch enger, düsterer, schmutziger und lauter erschien als die
anderen. Es stank nach beißendem Qualm und Schwefel. Und von überall
her erscholl ein düsteres Dröhnen und Hämmern. Ich
bekreuzigte mich hastig. Für einen Moment glaubte ich, dass mich der
Inquisitor geradewegs in den Schlund der Hölle geführt hätte
und ich mich nun im feurigen Reich des Antichristen befand.
»Wir sind in der Rue
Ferroniere«, sagte Meister Philippe über den Lärm hinweg.
»In der Straße der Schmiede.«
Er trat in eine Werkstatt -
und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Verwundert und
ein wenig eingeschüchtert blickte ich mich um: In der Mitte des lang
gestreckten, doch niedrigen Raumes loderte eine große Feuerstelle,
deren Holzkohlen glühten wie Satans tausend Augen. Es war heiß
und stickig - und laut: Zwei halbnackte Gesellen hoben und senkten die
Stange eines großen ledernen Blasebalges. Ein gewaltiger Schmied
stand nah am Feuer, holte mit einer Zange in der Linken ein glühendes
Stück Eisen aus den Kohlen, hob es rasch auf einen Amboss und schlug
es mit einem gewaltigen Hammer zu einem Kreis — möglicherweise
dem Ring eines Wagenrades, doch sicher war ich mir nicht.
Meister Philippe warf den
Mantel ab. Die beiden Gesellen, die uns im Pandämonium ihrer
Werkstatt bis dahin nicht bemerkt hatten, blickten zufällig auf,
erkannten den Mönchshabit und hielten erschrocken in ihrer Arbeit
inne. Dies wiederum weckte die Aufmerksamkeit des Schmiedes.
Als er uns sah, glaubte ich,
dass sein Gesicht, obwohl es von Hitze und Anstrengung gerötet war,
doch alle Farbe verlor. Der Schmied sagte etwas zu den beiden Gesellen,
das ich nicht verstehen konnte. Dann warf er das noch immer glühende
Werkstück in einen großen Zuber mir Wasser, wo es zischend
unterging. Er legte die Zange beiseite und bedeutete uns mit einer Geste,
ihm in eine Kammer am rückseitigen Ende der Werkstatt zu folgen. Es
beunruhigte mich, dass er seinen schweren Hammer in der Faust behielt.
Der Schmied war sicherlich
schon fünfzig Jahre alt, doch ein Hüne, dessen Arme und dessen
Brust, ja dessen Rücken sogar so dicht mit dunklem Haar bedeckt
waren, dass er beinahe aussah, als habe er ein Fell. Lange, gezackte
Narben verunstalteten seinen kräftigen Rücken und auch die Hände
zeigten Spuren längst verheilter, doch einst sicherlich äußerst
schmerzhafter Misshandlungen. Seine Augen waren so grau wie der Nebel draußen.
»Dies ist Guibert, der
Schmied«, sagte Philippe de Touloubre, als wir endlich in der
kleinen Kammer standen.
»Meister Philippe«,
brummte der Hüne und neigte demütig seinen Kopf, dann grüßte
er auch mich. Der Inquisitor hielt es nicht für nötig, meinen
Namen zu nennen, und so schwieg ich und neigte nur leicht das Haupt.
»Guibert«, fuhr
Meister Philippe mir zugewandt fort, als könne der Schmied uns gar
nicht hören, »fertigt nicht nur Wagenbeschläge und Haken.
Seinem glühenden Feuer entspringen auch Spieße, Dolche und
Schwerter. Nicht unbedingt die Waffen, welche die edlen Ritter Frankreichs
führen. Seine Kunstfertigkeit wird eher von den Schlägern und
Tavernenwirten, den Räubern und Vaganten geschätzt.«
»Ich habe nichts
Unrechtes getan«, brummte
Weitere Kostenlose Bücher