In Nomine Mortis
gesprochen werden, das Antoniusfeuer manchmal zu heilen vermögen.«
Ich blickte auf den Kirchturm, der noch vom Blitzschlag gezeichnet war -
so, wie es uns Honore erst vor kurzem erzählt hatte. Dann schlug ich
das Kreuz.
Niemals hätten wir -
selbst als Inquisitoren in offizieller Mission - das Hospiz selbst
betreten dürfen. Doch das war auch unnötig, denn Honore gesellte
sich zu anderen Unglücklichen, die hier Aufnahme gefunden hatten,
doch nun, vor den Mauern, unter einer Ulme saßen.
Unter normalen Umständen
hätte ich vielleicht gelacht beim Anblick der zwei Dutzend Gestalten,
die in diesem dichten Nebel unter einem Baum Schatten zu suchen schienen.
Stattdessen schickte ich ein Gebet zum HERRN.
Ich erblickte, nachdem ich näher
getreten war, Männer und ein paar Frauen, die der Hölle
entstiegen zu sein schienen. Zum ersten Mal an diesem Tag war ich dankbar
für den Nebel, der manchen Anblick gnädig verschleierte. Ich sah
Männer, deren Arme oder Beine grotesk gebrochen und wieder
zusammengewachsen waren, sodass sie aussahen, als hätte sie ein
ungelenkes Kind gemalt. Ich sah Männer, die auf den Stümpfen
ihrer abgehackten Beine stolzierten und solche, denen nicht einmal Stümpfe
geblieben waren und die sich stattdessen, in einer schauderhaften Parodie
des aufrechten Ganges, mit den Händen Schritt für Schritt vorwärtsschleppten.
Da gab es Gesichter, die unter Blattern verborgen waren, als hätte
sie der HERR aus schlechtem Teig geknetet, und solche, deren Haut von
Pocken verwüstet war. Da gab es Zerlumpte, die mir auf den ersten
Blick einen gesunden Eindruck machten, doch die gekrümmt gingen wie
Gerste im Wind, weil schreckliche Schmerzen ihren Unterleib plagten.
Meister Philippe erklärte mir, dass diese Unglücklichen Bauern
waren, die burgundischen Landsknechten in die Hände gefallen waren.
Die Soldaten hatten ihre Opfer, um ihnen das Versteck ihrer kläglichen
Besitztümer abzupressen, an den Hoden aufgeknüpft, bis diese
ihnen vom Leib gerissen waren. Am meisten jedoch erschreckten mich die
Gestalten ohne Augen: Männer und Frauen, manche noch halbe Kinder,
deren Augenhöhlen leer waren, schwarz und seelenlos.
»Landsknechte haben
ihnen die Augen ausgedrückt«, flüsterte der Inquisitor,
der meinem Blick gefolgt war.
»Beati mites quoniam
ipsipossidebunt terram«, murmelte ich und schlug das Kreuz.
Meister Philippe führte
mich zu einer Mauer und bedeutete mir mit einer Geste, mich ruhig zu
verhalten. Still standen wir da und starrten auf die Versammlung der
schrecklich verstümmelten Gestalten. Viele gingen ziellos auf und ab,
ein paar murmelten Gebete oder redeten wirr, jemand, dem die Zunge
herausgerissen worden war, presste gurgelnde Laute hervor, die meisten
jedoch blieben stumm. Honore setzte sich auf eine Bank — niemand
sprach mit ihm, niemand schien seiner zu achten.
Er war der einzige, in dem
das Antoniusfeuer brannte, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass
Honore an diesem Ort als der Gesegnete galt, als der König der Verkrüppelten,
als jemand gar, der auf die größte, allen anderen verwehrte
Gnade hoffen durfte: geheilt zu werden. So still, wie wir uns verhielten,
verschwammen unsere dunklen Umhänge mit der düsteren Mauer, an
die wir uns drückten. Niemand sah uns, oder falls doch, dann ließ
es sich keiner anmerken. Glücklicherweise mussten wir diesen Anblick
des Leids nicht allzu lange ertragen, denn Honore erhob sich nach einiger
Zeit wieder. Langsam wankte er hinter einige Büsche, die am Rand der
Landstraße wuchsen. Wir folgten ihm und bemühten uns dabei,
keinen Lärm zu machen. Selbst das Knirschen der Kiesel unter unseren
Sandalen schien mir hier, außerhalb der Stadt, ungewöhnlich
laut zu klingen; ich wagte nicht einmal zu atmen, als wir die letzten
Meter zum Gebüsch entlangschlichen.
Hinter den Zweigen hockte
Honore sich hin und erleichterte sich. Der Inquisitor gab mir ein Zeichen
und warf den Umhang ab. Ich tat es ihm nach. Dann traten wir plötzlich
vor, im vollen Habit der Dominikaner, wie zwei Racheengel, die aus dem
Jenseits kamen. Honore, hockend, mit der Hose auf den Knöcheln,
starrte uns einen Moment sprachlos an, dann schnappte er vernehmlich nach
Luft. Seine Augen waren schreckgeweitet, seine Haut unter dem rötlichen
Feuer plötzlich leichenblass. Für einen Moment glaubte
Weitere Kostenlose Bücher