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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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gesprochen werden, das Antoniusfeuer manchmal zu heilen vermögen.«
     Ich blickte auf den Kirchturm, der noch vom Blitzschlag gezeichnet war -
     so, wie es uns Honore erst vor kurzem erzählt hatte. Dann schlug ich
     das Kreuz.   
    Niemals hätten wir -
     selbst als Inquisitoren in offizieller Mission - das Hospiz selbst
     betreten dürfen. Doch das war auch unnötig, denn Honore gesellte
     sich zu anderen Unglücklichen, die hier Aufnahme gefunden hatten,
     doch nun, vor den Mauern, unter einer Ulme saßen.
    Unter normalen Umständen
     hätte ich vielleicht gelacht beim Anblick der zwei Dutzend Gestalten,
     die in diesem dichten Nebel unter einem Baum Schatten zu suchen schienen.
     Stattdessen schickte ich ein Gebet zum HERRN.                  
    Ich erblickte, nachdem ich näher
     getreten war, Männer und ein paar Frauen, die der Hölle
     entstiegen zu sein schienen. Zum ersten Mal an diesem Tag war ich dankbar
     für den Nebel, der manchen Anblick gnädig verschleierte. Ich sah
     Männer, deren Arme oder Beine grotesk gebrochen und wieder
     zusammengewachsen waren, sodass sie aussahen, als hätte sie ein
     ungelenkes Kind gemalt. Ich sah Männer, die auf den Stümpfen
     ihrer abgehackten Beine stolzierten und solche, denen nicht einmal Stümpfe
     geblieben waren und die sich stattdessen, in einer schauderhaften Parodie
     des aufrechten Ganges, mit den Händen Schritt für Schritt vorwärtsschleppten.
     Da gab es Gesichter, die unter Blattern verborgen waren, als hätte
     sie der HERR aus schlechtem Teig geknetet, und solche, deren Haut von
     Pocken verwüstet war. Da gab es Zerlumpte, die mir auf den ersten
     Blick einen gesunden Eindruck machten, doch die gekrümmt gingen wie
     Gerste im Wind, weil schreckliche Schmerzen ihren Unterleib plagten.
     Meister Philippe erklärte mir, dass diese Unglücklichen Bauern
     waren, die burgundischen Landsknechten in die Hände gefallen waren.
     Die Soldaten hatten ihre Opfer, um ihnen das Versteck ihrer kläglichen
     Besitztümer abzupressen, an den Hoden aufgeknüpft, bis diese
     ihnen vom Leib gerissen waren. Am meisten jedoch erschreckten mich die
     Gestalten ohne Augen: Männer und Frauen, manche noch halbe Kinder,
     deren Augenhöhlen leer waren, schwarz und seelenlos.
    »Landsknechte haben
     ihnen die Augen ausgedrückt«, flüsterte der Inquisitor,
     der meinem Blick gefolgt war.
    »Beati mites quoniam
     ipsipossidebunt terram«, murmelte ich und schlug das Kreuz.
    Meister Philippe führte
     mich zu einer Mauer und bedeutete mir mit einer Geste, mich ruhig zu
     verhalten. Still standen wir da und starrten auf die Versammlung der
     schrecklich verstümmelten Gestalten. Viele gingen ziellos auf und ab,
     ein paar murmelten Gebete oder redeten wirr, jemand, dem die Zunge
     herausgerissen worden war, presste gurgelnde Laute hervor, die meisten
     jedoch blieben stumm. Honore setzte sich auf eine Bank — niemand
     sprach mit ihm, niemand schien seiner zu achten.
    Er war der einzige, in dem
     das Antoniusfeuer brannte, und plötzlich kam mir der Gedanke, dass
     Honore an diesem Ort als der Gesegnete galt, als der König der Verkrüppelten,
     als jemand gar, der auf die größte, allen anderen verwehrte
     Gnade hoffen durfte: geheilt zu werden. So still, wie wir uns verhielten,
     verschwammen unsere dunklen Umhänge mit der düsteren Mauer, an
     die wir uns drückten. Niemand sah uns, oder falls doch, dann ließ
     es sich keiner anmerken. Glücklicherweise mussten wir diesen Anblick
     des Leids nicht allzu lange ertragen, denn Honore erhob sich nach einiger
     Zeit wieder. Langsam wankte er hinter einige Büsche, die am Rand der
     Landstraße wuchsen. Wir folgten ihm und bemühten uns dabei,
     keinen Lärm zu machen. Selbst das Knirschen der Kiesel unter unseren
     Sandalen schien mir hier, außerhalb der Stadt, ungewöhnlich
     laut zu klingen; ich wagte nicht einmal zu atmen, als wir die letzten
     Meter zum Gebüsch entlangschlichen.
    Hinter den Zweigen hockte
     Honore sich hin und erleichterte sich. Der Inquisitor gab mir ein Zeichen
     und warf den Umhang ab. Ich tat es ihm nach. Dann traten wir plötzlich
     vor, im vollen Habit der Dominikaner, wie zwei Racheengel, die aus dem
     Jenseits kamen. Honore, hockend, mit der Hose auf den Knöcheln,
     starrte uns einen Moment sprachlos an, dann schnappte er vernehmlich nach
     Luft. Seine Augen waren schreckgeweitet, seine Haut unter dem rötlichen
     Feuer plötzlich leichenblass. Für einen Moment glaubte

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