In Nomine Mortis
Streben der Chorkapellen von Notre-Dame.
Einige der Mädchen haben ihn gesehen und erkannt, er kommt ja regelmäßig.
Er hat sich eine Schönfrau ausgesucht und ist mit ihr in einer Gasse
verschwunden, die von der Kathedrale zur Seine führt. Dort habe ich
ihn heute Morgen entdeckt. Erstochen. Von der Schönfrau fehlt jede
Spur.«
»Weißt du, welche
Dirne mit dem Domherrn gegangen ist?«, fragte der Inquisitor. Plötzlich
klang seine Stimme müde — so, als ob er die Antwort schon
kannte.
Und, wenn ich ehrlich sein
muss, auch mich überraschten die nächsten Worte des Sergeanten
nicht.
»Es war Jacquette, das
Täubchen«, sagte er und schluckte. »So ein Zufall, nicht
wahr, Herr?«
»In GOTTES Plan ist
kein Platz für den Zufall«, murmelte der Inquisitor düster.
7
DIE TOCHTER DES
GELDWECHSLERS
In anderen Zeiten hätte
das Volk von Paris sich wohl höchlich um die Ermordung des würdigsten
Domherrn von Notre-Dame erregt — doch in diesem Frühjahr
verhielt es sich anders. Denn genau an jenem Morgen, da uns der Sergeant
den Tod des Nicolas d'Orgemont meldete, zogen wohl hundert ärmliche
Flüchtlinge aus Lyon durch die Porte Saint-Jacques in die Stadt.
Erschöpft und voller Schrecken erzählten sie allenthalben vom
Schwarzen Tod. Großherzige Bürger nahmen sich ihrer an, dazu
wir Mönche, die Nonnen der Klöster, die Ratsherren von Paris.
Die Neuankömmlinge berichteten, dass in Lyon der Tod herrsche wie nie
zuvor. Sie beschrieben eitrige Geschwüre und Beulen, die sich plötzlich
auf der Haut zeigten. Die Menschen, so sagten sie uns, begännen zu
faulen und stänken nach Verwesung und Tod, noch bevor sie gestorben
seien. Leiden müssten sie nicht lange, denn der Schwarze Tod schlug
schnell zu. So mancher, der einen Kranken in dessen Haus besucht habe, um
ihm Tröstung zuzusprechen, habe die heimtückischen Beulen auf
seiner Haut wachsen sehen in einer Zeit, in der man kaum zwei PATER noster
sprechen könne. Und noch ehe der Unglückliche sein eigenes Haus
wieder erreicht habe, da sei er schon gestorben. Zunächst wollten wir
diese Geschichten nicht glauben, doch den Flüchtlingen folgten noch
am gleichen Tag weitere aus Toulon und Marseille. Dann kamen sie sogar von
den Häfen des Westens, aus Nantes und La Rochelle und Calais, und von
Norden, aus Lille und Rouen, und von Osten, aus Strassburg und Basel.
Manche wankten geschwächt in die Stadt - sie kamen aus Katalanien und
Italien und Flandern und weiß GOTT noch woher. Und sie alle erzählten
die gleiche Geschichte.
Mein Herz zitterte, auch wenn
ich mir sagte, dass der HERR uns alle prüfen wolle und ich, als Mönch
und Inquisitor, doch den Bürgern ein besonderes Vorbild an
Standfestigkeit und Vertrauen sein müsse. Ich fühlte mich - und
da war ich nicht allein - wie in einer belagerten Stadt. Von überall,
so schien es mir, wälzten sich unsichtbare, schreckliche Armeen auf
Paris zu.
In Notre-Dame und den anderen
Kirchen wurden Messen zelebriert und die Häuser GOTTES waren von
Menschen gefüllt wie nie zuvor. Reliquien und Heiligenbilder wurden
in Prozessionen durch die Straßen getragen und zu den Klöstern
des Umlandes. Überall erschollen die Fürbitten der Menschen zum
Himmel. Doch GOTT hatte sich abgewandt und hörte sie nicht.
Zu allem Unglück brach
nach dem nebligen, feuchten Mai auch noch eine Maikäferplage über
das Land herein. Das braune Getier war plötzlich auf allen Feldern, Wäldern
und Wiesen und fraß die Mandel-, Apfel-, Birnen- und Kirschbäume
kahl. Die Preise für Obst stiegen ins Unermessliche, sodass sich
selbst die Reichen kaum mehr als ein oder zwei verschrumpelte Früchte
kaufen konnten. So kam zur Angst auch noch der Hunger nach Paris.
Mit den Flüchtlingen
kamen auch viele Dominikaner in die Stadt, vor allem aus dem Süden,
wo unsere Gemeinschaft gegründet worden ist und wo sie von jeher
besonders stark ist. Ihrer nahmen wir uns natürlich besonders fürsorglich
an, und so war unser Kloster bald überfüllt, als wären wir
Gastgeber eines Konvents.
Tagelang war gar nicht daran
zu denken, unsere Nachforschungen weiterzuführen, so brennend wir
dies auch wollten. Demütig übernahm es der Inquisitor, in der
Stadt das immer teurer werdende Mehl zu kaufen, Zwiebeln und was er sonst
noch auf den Märkten erstehen konnte, damit wir die Flüchtlinge
anständig versorgen konnten. Ich
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