In Nomine Mortis
mir eine Last von der Seele. Freier,
ja fröhlich marschierte ich zurück in die Rue Saint-Jacques.
Nach der Vesper hätte
ich mich gerne dem Inquisitor offenbart, doch es war der Prior, der uns,
noch in der Kirche, zu sich zitierte. Bruder Carbonnet wartete vor dem
Altar, bis die anderen Mönche lautlos das Haus GOTTES verlassen
hatten. Der alte Prior sah müde aus und ungeduldig.
»Nun, Brüder«,
begrüßte er uns, »ich hoffe, dass Ihr über der
Barmherzigkeit, die Ihr den Flüchtlingen zuteil werden lasst und die
der HERR ohne Zweifel gerne sieht, nicht den Tod Heinrichs von Lübeck
vergessen habt.«
Ich erschrak. Hatte der Prior
irgendwie von meinem Besuch bei Messer Datini erfahren? Warum sonst
zitierte er uns ausgerechnet an diesem Tag zu sich?
Doch Bruder Carbonnet gab mir
die Antwort, wiewohl unwissentlich, selbst. »Seit gestern«, so
fuhr er fort, »lesen die Franziskaner vom ersten Glockenschlag am
Morgen bis zum Läuten der Abendglocken pausenlos Messen. Die
Cordeliers sind, wie Ihr wisst, im Volk beliebter als wir Dominikaner.
Doch auch in das Kloster der Augustiner strömen viele Bürger von
Paris. Selbst nach Saint-Julien-le-Pauvre, dem Priorat der Cluniazenser,
das sich nur ein paar Schritte die Straße hinunter erhebt, zieht es
Ritter und Bauern, Edelfrauen und Marktweiber. Unseren Beistand jedoch
sucht kaum jemand, nicht einmal ein Ratsherr der Stadt.«
Der Prior seufzte und
bereitete die Arme weit aus wie ein etwas ratloser, doch gütiger
Vater. Seine Augen jedoch musterten uns kalt. »Früher
wenigstens hat uns das Volk ob unserer Gelehrsamkeit geschätzt und ob
des Scharfsinns unserer Inquisitoren gefürchtet. Jetzt allerdings,
scheint mir, haben wir nichts mehr, das ihnen noch Achtung gebietet.«
Meister Philippe verneigte
sich demutsvoll, doch sah ich, dass sein Gesicht weiß geworden war
und seine Lippen zitterten vor unterdrücktem Zorn. Ich tat es ihm
gleich und senkte ebenfalls mein Haupt.
»Ut omnes
honorificent Filium sicut honorificant PATREM qui non honorificat Filium
non honorificat PATREM qui misit illum«, murmelte Bruder Carbonnet und ließ
seine Worte wirken. Dann endlich hob er wieder die Stimme: »Man sagt
sich auf den Straßen von Paris, dass auf uns Dominikanern ein Fluch
liegt, seit einer von uns vor Notre-Dame ein so schreckliches Ende
gefunden hat. Der Fluch wird, so gehen die Gerüchte, auf uns lasten,
bis dass wir den Schuldigen gefunden und diese Tat gesühnt haben.
Liebe Mitbrüder, ich brauche Euch bestimmt nicht daran zu erinnern,
dass die Angst das Volk von Paris gepackt hält wie schon lange nicht
mehr. Ihr kennt die Geschichten vom Schwarzen Tod. Wiewohl ich sie nicht
glauben mag, so muss ich doch sehen, dass viele andere sie für bare Münze
nehmen. Daher sind die Menschen reizbar und bereit, jedes Wort zu glauben,
sofern es von finsteren Taten und Blut und Sünde kündet.
Zumal ja nicht allein der Tod
Heinrichs von Lübeck ungesühnt ist…«
Die Stimme des Priors
verklang, dann jedoch räusperte er sich, stand auf und ging unruhig
vor dem Altar auf und ab. »Der Prévôt royal gab sich
gestern die Ehre eines Besuches«, verkündete Bruder Carbonnet
und der Zorn in seiner Stimme war unverkennbar. »Er machte mir in
ziemlich deutlichen, um nicht zu sagen unhöflichen Worten klar, dass
er mit den vielen Flüchtlingen und ihren Gerüchten und mit den
Burgundischen und Englischen, die in der Nähe von Paris die Felder
verheeren, schon genug Sorgen habe. Er möchte die Mörder, die
Heinrich von Lübeck und Nicolas d'Orgemont ein so schimpfliches Ende
bereitet haben - oder den Mörder, sollte es sich in beiden Fällen
um ein und denselben Täter handeln — endlich unschädlich
machen.
Der Prévôt will
sie auf dem Richtplatz vor aller Augen vierteilen lassen, auf dass die Bürger
von Paris abgelenkt werden von den Geschichten der Flüchtlinge - und
auf dass sie sich beizeiten erinnern, dass es stets besser ist, der
Obrigkeit zu gehorchen. Wir, meine Brüder, sollen ihm endlich die
Schuldigen benennen. Ich habe auf den Prévôt mit solch
kunstvollen Worten eingeredet, wie ich sie nur selten in einer Predigt
finde. So gibt er uns noch ein paar Wochen. Doch spätestens zu Mariae
Himmelfahrt wird er dem König Bericht erstatten. Sollte er dies tun,
dann wird diese unselige Geschichte unfehlbar auch Seiner Heiligkeit zu
Ohren kommen.
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