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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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flüsterte
     ich mir schließlich zu. Oder war es eine andere Stimme, die mir dies
     eingab? War es GOTT? Oder war es nicht vielmehr sein ewiger Widersacher,
     der mich lockte und trieb? Nach einer unendlich langen Zeit jedenfalls
     überwand ich die Lähmung meiner Glieder und drückte die
     Pforte so vorsichtig auf, dass ihre Angeln nur ganz leise knarrten.
    Im Innern von Notre-Dame war
     es feucht und kühl und es roch nach kaltem Weihrauch. Die hohen
     Pfeiler strebten in die tintenschwarze Düsternis. Die Galerien hoch
     oben im Kirchenschiff, die Rosetten, die hohen Fenster, das Gewölbe,
     die Kapellen zu beiden Seiten - alles lag verborgen in undurchdringlicher
     Dunkelheit. Vor dem Altar jedoch brannten noch immer einige Kerzen, die Gläubige
     in frommem Eifer gespendet hatten. Rot und gelb flackerte ihr Licht durch
     den Chor, ließ dort die geschnitzten Stühle der Domherren dämonisch
     aufleuchten, warf Lichtzungen ins Kirchenschiff und erhellte die
     Grabplatten auf dem Boden.
    Von meinem Unbekannten sah
     und hörte ich jedoch nichts. Ich blieb an der Pforte stehen und zwang
     mich, ruhig zu atmen. Langsam gewöhnten sich meine Augen an das
     seltsame Licht in der Kirche. Ich konnte die Bänke für die
     Betenden schemenhaft erkennen, zwei oder drei Beichtstühle, eine
     Statue der Mutter GOTTES, den goldenen Rahmen eines Bildes, der
     aufblitzte, als ein verirrter Luftzug einen Lichtstreif bis tief hinein in
     eine Kapelle warf. Nichts. In Notre-Dame war es still wie in einer Gruft.
     Nein, meine Erinnerung will mich hier täuschen: Notre-Dame glich in
     jener Nacht einem riesigen steinernen Gefäß, einem Reliquiar,
     randvoll angefüllt mit einer erhabenen, erschreckenden, mit einer
     jenseitigen Stille. Ich spürte sie, sie schnürte mir die Brust
     zusammen und verwirrte meine Sinne. Ich erschauderte. Was sollte ich nun
     tun?
    Zögernd ging ich tiefer
     hinein ins gewaltige Kirchenschiff. Halb erwartete ich, meine Schritte
     tausendfach verstärkt von den Kapellen und Pfeilern als Echo zurückgeworfen
     zu hören. Doch es war, als schluckte die Dunkelheit jeden Ton. Ich
     konnte keinen meiner Schritte vernehmen, wie in einem Alptraum, in dem man
     sich bewegt und doch nicht von der Stelle kommt.
    Das Licht der Kerzen am Altar
     war mein Leitstern. Sorgfältig vermied ich es, in den Lichtschein zu
     treten, um mich nicht zu verraten. Doch ihr Leuchten half mir, mich
     zurechtzufinden. Vorsichtig ging ich einmal durch das ganze Kirchenschiff:
     vom Hauptportal und den Zugängen zu den Türmen im Westen bis zu
     den äußersten Kapellen hinter dem Chor im Osten. Nirgendwo
     jedoch sah oder hörte ich etwas von dem Unbekannten, ich erblickte
     keine offene Tür, bemerkte keinen Lichtschein außer dem am
     Altar.
    Und doch wurde ich das Gefühl
     nicht los, dass mich jemand beobachtete. Ich glaubte, Blicke zwischen
     meinen Schultern zu spüren, ja fast vermeinte ich, sie greifen zu können,
     so wirklich erschienen sie mir. Doch stets, wenn ich mich rasch umdrehte,
     war die Düsternis hinter mir so undurchdringlich wie die vor mir.
     Meine Haare sträubten sich, Schauer liefen über meine Haut. Ich
     fror. »DOMINE,
     quo vadis?«, hauchte ich und irrte weiter, wohl eine Stunde lang.
    Schließlich war ich
     erschöpft, halb erfroren, mutlos und verängstigt. Ich hatte die
     Spur des Unbekannten verloren. Langsam schlich ich zur Pforte zurück,
     durch die ich in die Kathedrale gekommen war. Draußen blieb ich
     einen Moment im Nebel stehen und sammelte mich.
    Da erblickte ich Jacquette.
     Zumindest gewahrte ich in einer der Gassen, welche zu Notre-Dame führten,
     eine junge Frau, die sich gegen die Kälte in einen dunklen Umhang gehüllt
     hatte, der fast ihren ganzen Körper verbarg. Das Haar jedoch trug sie
     offen — und es schimmerte braun wie das jener Schönfrau, deren
     Bild ich nicht mehr aus meinem Geist vertreiben konnte. Ihre Bewegungen
     hatten noch etwas von der Ungelenkigkeit eines heranwachsenden Mädchens
     - genauso wie es bei Jacquette gewesen war.
    Ich musste mich zwingen,
     nicht laut ihren Namen zu rufen, zu ihr zu eilen, um ihr Gesicht zu sehen
     und, oh Sünde, ihre Hände zu ergreifen. So nah stand ich bei
     ihr, dass ich meinte, sie fast berühren zu können. Doch der
     Nebel täuschte. Tatsächlich trennten uns doch einige Schritte -
     genug, dass sie mich, der ich mich an die Mauer von Notre-Dame drückte,
     nicht einmal bemerkte. Genug auch, dass ich ihre Gesichtszüge

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