In Nomine Mortis
vernommen? Ich krümmte mich zusammen, versuchte, so klein zu
werden wie möglich. Dann bemerkte ich, dass wir nicht allein waren.
Nun, da ich geduckt dastand und mit allen meinen Sinnen den Nebel und die
Düsternis zu durchdringen versuchte, nun erst sah ich andere Schatten
in engen Seitengassen und Hauswinkeln. Nun erst hörte ich von
irgendwoher gedämpfte Stimmen, Flüstern, einen halb unterdrückten
Schrei. Nun erst vernahm ich das Knirschen von Kieseln unter einer Sohle,
das Kratzen eines langsam zurückgeschobenen Eisenriegels, das Würgen
und Stöhnen von jemandem, der sich übergab. Ich war erleichtert
und beunruhigt zugleich: Mir wurde klar, dass ich mich dem Unbekannten
nicht so leicht durch ein unbedachtes Geräusch oder eine Bewegung
verraten würde, wie ich zunächst befürchtet hatte. Doch
zugleich ängstigte ich mich vor den Menschen und, wer weiß,
vielleicht auch den verdammten Seelen, die durch das nächtliche Paris
spukten.
Der Unbekannte schien noch
eine Weile abzuwarten, dann lief er endlich weiter. Ich folgte ihm bis zum
Petit Pont. Eine schwere, gusseiserne Kette spannte sich quer über
den Zugang zur Brücke, doch war dies kaum mehr als eine symbolische
Absperrung. Eigentlich hätten hier Sergeanten de la Douzaine stehen müssen,
denn es war verboten, sich ohne Erlaubnis des Prévôt royal nächtens
durch Paris zu bewegen. Deshalb versperrten Ketten die wichtigsten Brücken
und Straßen der Stadt.
Doch zumindest am Petit Pont
war kein Wächter zu sehen. Vielleicht waren den Sergeanten der Nebel
zu dicht und die Luft zu feucht. Gut möglich war es aber auch, dass
sie sich, wie alle vernünftigen Leute, vor der Nacht und ihren Geschöpfen
fürchteten.
Der Unbekannte jedenfalls
schien zu wissen, dass an der Kette niemand lauern würde. Ohne auch
nur einen Augenblick zu zögern oder nach links oder rechts zu
blicken, stieg er über die eisernen Glieder. Die Kette zitterte, ihr
angerostetes Eisen gab kratzende Laute von sich. Dumpf klangen die
Schritte der Gestalt auf dem hölzernen Boden der Brücke.
Ich zögerte kurz an der
Kette. Noch immer konnte ich das dumpfe Klopfen hören, mit dem die
Schuhsohlen des Unbekannten auf die Holzbalken trommelten. Musste er mich
dann nicht auch hören? Verzweifelt zermarterte ich mir den Kopf und
suchte nach einem Ausweg aus meinem Dilemma.
Schließlich, weil mir
nichts Besseres einfiel und ich befürchtete, die Gestalt im Nebel
endgültig zu verlieren, streifte ich meine Sandalen ab und stieg,
Mantel und Kutte hebend, vorsichtig über die Kette. Ich erschauderte.
Das feuchte Holz war glitschig und kalt wie der Tod. Ich lief weiter, nur
mit den Ballen über die Balken tänzelnd wie ein übermütiges
Kind. Ich machte, wie meinen überreizten Sinnen schien, gehörigen
Lärm.
Doch der Schemen vor mir
verlangsamte nicht seinen Lauf, im Gegenteil: Als er das jenseitige Ende
der Brücke erreicht hatte, wurde er schneller und schneller. Er eilte
durch die Gassen der Seine-Insel und strebte einem Ziel zu, das düster
im Nebel schimmerte wie ein tausendfach gezackter Felsen, wie ein
Titanenwald, in den niemals Licht fällt, wie die riesenhafte Burg des
Herrn der Finsternis: der Kathedrale von Notre-Dame.
Der Unbekannte verschmolz mit
der dunklen Masse, ein kleiner Schatten, der sich auflöste. Mit
klopfendem Herzen hatte ich mich bis zum Rand des Platzes vor der
Kathedrale geschlichen und starrte in den Nebel. Die Gestalt war
verschwunden.
Schließlich schlug ich
ein Kreuz, nahm all meinen Mut zusammen und rannte bis zum Hause GOTTES.
Ich stand an der lang gestreckten Südfassade der Kirche. Über
mir ragten Pfeiler und Türmchen auf. Steinerne Fratzen starrten auf
mich herab, Teufel, Dämonen, Fabelwesen. Im milchigen Halblicht
vermeinte ich, dass sich ihre Züge in schrecklicher Wut verzogen, da
ich es wagte, in der Nacht an die Pforte ihres Reiches zu klopfen. Der
Unbekannte war nirgendwo zu sehen.
Da hörte ich, ganz
leise, ein Knarren. Nur wenige Schritte zu meiner Rechten erkannte ich
schemenhaft eine winzige Tür, die zwischen den Streben zweier
Kapellen ins Mauerwerk eingelassen war. Lange stand ich vor ihr, zu lange
vielleicht. Schwer ging mein Atem, mein Herz schlug mir im Halse. Sollte
ich hineingehen?
»Du hast dich auf
diesen Weg begeben, nun musst du ihn auch zu Ende gehen«,
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