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In Nomine Mortis

In Nomine Mortis

Titel: In Nomine Mortis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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nicht
     deutlich erkennen konnte. War sie es wahrhaftig? Oder war es ein Trugbild
     Satans, mich zu locken und zu verhöhnen? Jacquette — wenn sie
     es denn war — verschwand nach wenigen Augenblicken in der Gasse. Und
     ich, ich wagte es nicht, ihr zu folgen. Nicht, weil ich Angst gehabt hätte
     vor ihr. Nein, ich hatte Angst vor mir. Ich spürte, dass ich etwas
     Unaussprechliches tun würde, ginge ich Jacquette nun nach. Ich wäre
     ihr nicht einfach durch eine Gasse von Paris gefolgt, nein, so gut kannte
     ich mein Herz nun schon. Ich wäre ihr gefolgt aus dem Kloster, aus
     meiner Berufung, aus allem, was mir heilig und wichtig dünkte.
    So blieb ich denn im Schatten
     von Notre-Dame und atmete schwer und zitterte am ganzen Leibe, weil ich glücklich
     war und todtraurig zugleich. Und weil ich wusste, dass mein Leben langsam
     in Stücke zerfiel und ich nichts dagegen unternehmen konnte. Viel später
     erst - als ich endlich wieder im Kloster war, unentdeckt, wie ich hoffte
     —, ging mir auf, dass ich in Notre-Dame, als ich den Unbekannten
     verfolgte, meine Hand nicht ins Weihwasser getaucht und das Kreuz
     geschlagen hatte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich ein Haus
     GOTTES betreten und dabei diese Bezeugung von Glauben, Ehre und Demut
     vergessen hatte. Noch ein böses Vorzeichen in dieser an bösen
     Vorzeichen überreichen Zeit.   
    *
    Ich schwankte vor Müdigkeit
     in den Vigilien, doch fand ich keine Ruhe in Gesang und Gebet. Auch in den
     wenigen Nachtstunden, die mir danach noch blieben, konnte ich nicht in das
     gnädige Reich des Schlafes sinken.
    Jacquette lebte und sie war
     frei! Das zumindest redete ich mir immer wieder ein. Doch war sie es
     wirklich? Mein Herz wollte es glauben. Mein Geist jedoch, geschärft
     vom Studium und mehr noch vom Vorbild des Inquisitors, wollte zweifeln.
     Hatte ich sie wahrhaftig erkannt? Hatte ich ihr Gesicht gesehen, ihre
     Stimme gehört? Nein und abermals nein. Doch falls es tatsächlich
     Jacquette gewesen war in jener düsteren Gasse: War es bloßer
     Zufall, dass ich sie im Schatten von Notre-Dame wiederfand? Hatte sie
     etwas mit dem Unbekannten zu schaffen, den ich zuvor verfolgt hatte? Und
     wer verbarg sich hinter dieser Gestalt? Und warum Notre-Dame? Wer oder was
     zog den Unbekannten dorthin? Und Jacquette? Und, ich schauderte, auch
     Heinrich von Lübeck, der dort sein schreckliches Ende gefunden hatte?
     Der Unbekannte und mein ermordeter Mitbruder hatten sich zudem im Kloster
     in der Rue Saint-Jacques aufgehalten. Hatten diese Vorgänge also
     etwas mit uns, den Dominikanern, zu tun?                  
    So viele Fragen — und
     nur eine Sicherheit: Ich würde, auch wenn mich mein schlechtes
     Gewissen bedrängte, Meister Philippe weder von meinem nächtlichen
     Abenteuer erzählen noch davon, dass ich Jacquette gesehen hatte. Ich
     würde diese Ereignisse vorerst für mich behalten, bis ich klarer
     sah.
    *
    Als ich zum Morgenmahl ging,
     quälte mich die Furcht, Meister Philippe könnte mir meine
     durchwachte Nacht und meine Seelenqualen ansehen. Hätte er mir auch
     nur eine Frage gestellt - ich hätte es nicht über mich gebracht,
     ihn anzulügen, sondern auf der Stelle alles gestanden. Doch der
     Inquisitor kam an jenem Morgen nicht dazu, mich auch nur zu mustern.
    Kaum hatten wir uns
     niedergelassen, bat ihn ein schüchterner Novize hinaus zum Portarius.
     Meister Philippe bedeutete mir mit einem Nicken, ihm zu folgen. So kamen
     wir zur Klosterpforte, wo uns einer der beiden Sergeanten erwartete, die
     uns den Leichnam Heinrichs von Lübeck gezeigt hatten.
    Der Mann verbeugte sich würdevoll.
     Doch selbst mich täuschte er damit nicht, denn ich sah, dass er sein
     angstvolles Zucken, das ihm über die linke Gesichtshälfte lief,
     nur unvollständig verbarg. »Wir haben in der ersten
     Morgenstunde wieder einen Toten im Schatten von Notre-Dame gefunden, Herr«,
     verkündete der Sergeant. Das blasse Gesicht des Inquisitors wurde
     noch um eine Spur fahler. »Wer ist es?« Seine Stimme war
     eisig.
    »Es ist der Dekan der
     Domherren, der ehrwürdige Nicolas d'Orgemont.«
    »GOTT sei seiner Seele
     gnädig«, murmelte ich unwillkürlich. Der Sergeant schlug
     mechanisch das Kreuz und der Ausdruck nackter Angst stand ihm noch immer
     im Gesicht. »Der hohe Herr ist zu den Schönfrauen gegangen«,
     fuhr er mit sichtlichem Unbehagen fort, »dorthin, wo die Dirnen auf
     Männer warten: zwischen den

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