In nur einer Nacht (Gay-Romance) (German Edition)
rechten Hand hielt er einen Holzstab, der einem Hirtenstab hätte Konkurrenz machen können, bis auf einen Unterschied. Die Spitze des Stabes glitzerte silbrig hell und sie versprühte kleine Funken.
„Bist du bereit für deine nächste Reise?“, fragte die Gestalt und beobachtete Nathan aufmerksam.
„Fin … Fin … Finlay …“, stammelte Nathan. Vor ihm stand in voller Lebensgröße sein bester Freund, den er seit dem Sandkastenalter kannte.
„Du kannst mich gerne so nennen, aber ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnacht“, erwiderte er und verbeugte sich galant.
„Aber … aber du siehst so echt aus.“ Nathan konnte es kaum fassen.
„Ich bin ja auch echt“, beschwerte sich der Geist und zog einen Flunsch. Wenn es dir lieber ist, dann kann ich gerne mein Aussehen verändern. Wie wäre es mit deinem Vater? Oder besser, dein Großvater, aber ich könnte auch …“
„Nein … nein … nein“, winkte Nathan hastig ab. „Solange du dich nicht wie deine Vorgängerin in meine anhängliche Exfreundin verwandelst, dann bleib lieber Finlay.“
Daraufhin herrschte eine kurze Pause.
„Warum bist du so … wie soll ich sagen...“ Der Geist lief ein paar Schritte auf und ab, während er die Umgebung und Nathan ausgiebig in Augenschein nahm. „Kann es sein, dass du diesen Finlay nicht magst?“
Diese Frage traf einen wunden Punkt bei Nathan Bennett, obwohl er sich äußerlich nichts anmerken ließ. Finlay Clarks hatte vor wenigen Monaten ihre jahrelange Freundschaft, mir nichts, dir nichts, einfach aufgelöst.
„Du denkst vierundzwanzig Stunden am Tag nur noch ans Geschäft. Dabei vergisst du ganz deine Mitmenschen um dich herum. Sogar mich, und ich dachte immer, ich bin dein bester Freund“, hatte er gesagt. „Wie oft habe ich bei dir angerufen oder dir eine SMS geschickt, aber der gnädige Herr hat es nicht für notwendig empfunden, ans Telefon zu gehen oder zu antworten. Eigentlich wollten meine Freundin und ich öfters was mit dir unternehmen. Und wenn du doch mal angerufen hast, war es eine Absage. Du hast dich dann lieber mit der hochnäsigen Londoner High Society vergnügt, um dich zu zeigen, damit du in der Zeitung zu sehen bist. Nathan, früher warst du mal ein richtig netter Kerl, jemand, mit dem man Pferde stehlen konnte. Heute bist du nur noch ein gefühlskalter Egoist. Ich wünschte, du würdest mal darüber nachdenken. Vielleicht siehst du dann deine Fehler ein. Wenn du wieder der alte Nathan bist, kannst du dich gerne bei mir melden.“
Danach war Finlay aus Nathans Büro marschiert. Seitdem hatte sie sich nie mehr wiedergesehen.
Selbstverständlich hatte er vorgehabt irgendwann einmal darüber nachzudenken, aber getan hatte er es nie. Auch jetzt, als der Geist in Form seines besten Freundes vor ihm stand, musterte er ihn lediglich mit einer Mischung aus Wut und Neugier.
„Du willst also nicht antworten“, beantwortete der Geist seine Frage selbst. „Nun gut, dann lass uns keine kostbare Zeit vergeuden. Auf geht’s!“ Darauf hob er den Holzstab und wirbelte ihn gefährlich durch die Luft. Am oberen Ende spuckte er einen bunten Farbenschauer aus und hüllte sie beide in einen Kokon aus unzähligen Lichtstreifen ein.
Nathan war fasziniert. Gerade als er den bunten Farbenregen genoss, verschwand dieser so plötzlich, wie er gekommen war. Das Schauspiel endete mit einem grellen Blitz. Hastig kniff er die Augen zusammen und wandte sich ab, um ein paar Momente später festzustellen, dass er sich in einem fremden Haus befand.
Es handelte sich eindeutig um ein Wohnzimmer. Der Raum war jedoch klein. Die Tapete an den Wänden wirkte mit ihrem längst verblassten Blumenmuster altmodisch, genauso wie die Kommode in der hinteren Ecke. Teils zerschlissene dunkelblaue Vorhänge und ein altes Sofa mit kleinen Löchern im weinroten Samtpolster hatten schon bessere Zeiten erlebt. In einem Kamin brannte ein gemütliches Feuer, daneben stand ein zwei Meter hoher Tannenbaum, geschmückt mit blauen und roten Glaskugeln, brennenden Kerzen, und auf der Spitze thronte eine kleine Weihnachtselfe.
Nathans Blick wanderte schließlich zu drei Geschenken, die in rotes Weihnachtspapier eingewickelt und mit Schleifen verziert waren. Eine ältere Frau mit leicht ergrautem Haar, welches sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden hatte, hockte in einem Sessel neben dem Weihnachtsbaum und schlief. Auf ihrem Schoß ruhte Strickzeug, der Anfang eines gelben Wollschals.
„Wo bin ich?“ Nathan
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