In sanguine veritas - Die Wahrheit liegt im Blut (German Edition)
Chemie noch ganz neu. Die Welt der Atomverbindungen würde sich mir erst noch öffnen müssen. Ich wusste nur, dass meine Moleküle alle fröhlich umherschwirrten, wenn sein Blick wie in diesem Moment meinen traf. Während er mit der Lehrerin diskutierte, driftete ich in einen Tagtraum, in dem Elias meine Hand unter der Bank ergriff und sie zärtlich mit dem Daumen streichelte. Was ich allerdings nicht bemerkt hatte, war, dass ich ihn währenddessen träumerisch anlächelte. Die Tatsache fiel mir erst auf, als er mit einer Hand vor meinen Augen hin und her wedelte und meinen Namen flüsterte. Ich lief sofort hochrot an und steckte meinen Kopf ins Buch. Herr im Himmel, mach, dass er seine Aufmerksamkeit von mir nimmt!, dachte ich, aber es geschah nichts.
„Eine kleine Tagträumerin, was?“, flüsterte er mir ins Ohr und meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich spürte den starken Drang , mich ihm zuzuwenden und seine Lippen fest mit meinen zu verschließen. Meine Wangen fühlten sich kochend heiß an. Was in Gottes Namen war nur mit mir los?
Ich nickte nur und lächelte ihn nervös an. Er zog eine Augenbraue hoch und schenkte mir ein Lachen, das mir fast den Boden unter den Füßen wegriss. Zum Glück saß ich fest auf meinem Stuhl. Hellrote Augen starrten mich unverblümt an. Ich hätte schwören können, dass seine Fangzähne ein bisschen gegen seine Lippe drückten.
„Du hast Rehaugen“, stellte er flüsternd fest.
„Und du hast die Augen eines Raubtiers.“
„Ich bin ein Raubtier.“ Er lächelte zaghaft.
„Dann sollte ich mich wohl in Acht nehmen. Nicht, dass ich noch zur Beute werde.“
„Als Kölnerin lebst du in meinem neuen Revier. Es könnte pa ssieren.“ Sein Gesicht bekam einen Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Er wandte den Blick von mir ab und starrte nach draußen, wofür er sofort mit einem Niesen bestraft wurde. „Photischer Niesreflex, hm?“, hakte er verschnupft nach.
„Genau. Und du hattest übrigens recht. Desensibilisieren ist das Einzige, was dagegen hilft.“
„Sag bloß, du hast dich für mich schlaugemacht?“
Au Backe! Voll ins Fettnäpfchen gelatscht und drin stecken geblieben. Gut gemacht, Miri! Na ja, da half nichts, da musste ich jetzt durch.
„Ja“, gab ich kleinlaut zu und errötete schon wieder. Frau Wal dvogel kam zu meiner Rettung und ermahnte uns, aufzupassen. Puh, noch mal haarscharf davongekommen, wenn auch mit einem blauen Auge.
Als es zur Pause klingelte, hatte Elias unser Gespräch aber noch nicht vergessen. Er wollte im Flur gerade etwas zu mir sagen, als ihm seine Schwester auf die Schulter tippte. Schon wieder gere ttet. Er reichte ihr seine Hände und sie riss ihre Augen freudig strahlend auf, als sie, wie ich vermutete, in seinen Gedanken las.
Dann zog Anastasija ihre Hände weg und umfasste sein Gesicht. Ihr eigenes nahm einen so liebevollen Ausdruck an, dass ich lächeln musste. Die Vampirin küsste ihren Bruder sanft auf die Wange, bevor sie ihn in ihre Arme drückte. Wie sich wohl seine Haut unter meinen Lippen anfühlen würden? Ich erschrak, als der Blick der Vampirin über die Schulter ihres Bruders hinwegglitt und auf mir ruhen blieb. Nervös zupfte ich an meinen Klamotten rum.
Ich war mir nicht sicher, ob Elias die Pause mit uns verbringen wollte. Eva, Aisha und ich warteten noch ein bisschen und zogen dann ohne ihn weiter.
„Was ist da los, hä?“, platzte es aus Eva heraus , als wir auf dem Schulhof angekommen waren.
„Schht!“, machte ich , hielt den Finger vor meinen Mund. „Er könnte hier überall sein und zuhören. Ich rufe euch heute Nachmittag an.“
„Bis dahin bin ich geplatzt“ , maulte Eva und ihr süßes Gesicht verzog sich zu einem richtigen Schmollen, wie es sonst nur Französinnen können.
„Lass uns über etwas anderes reden“, seufzte ich und Aisha kam mir zu Hilfe. Sie lenkte das Thema auf den Schulhofgott Mark und seiner Liaison mit Marianna. Lästern tat gut, es lenkte mich so gut von den eigenen Problemen ab. Ich erzählte gerade, dass die beiden sich gestern im Bus abgeknutscht hatten, als plötzlich Elias bei uns stand. Ich hatte es geahnt! Seine Schwester hatte er im Schlepptau.
„Hallo“, begrüßte Eva sie mit einem breiten Lächeln. Wir drei saßen alle auf dem Boden des Schulhofs und hielten die Gesichter in die Sonne, um uns von den warmen Strahlen streicheln zu lassen. „Der Planet“, wie einer meiner Onkel die Sonne immer nannte, stand jetzt höher als heute Morgen und strahlte
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