In Schönheit sterben
Priorität!
Sie nahm all ihren Mut zusammen – das war schon notwendig, um sich gegen Serena Sarabande aufzulehnen – und sagte, was sie auf dem Herzen hatte.
»So gut es mir hier gefällt, ich muss leider Ihr Institut vorzeitig verlassen. Meine Mutter ist alt und nicht bei bester Gesundheit. Leider hat sich ihr Zustand verschlechtert, wie ich gerade erfahren habe. Sie ist sehr gebrechlich. Und ein bisschen senil.«
Der bloße Gedanke daran, dass ihre Mutter je herausfinden würde, wie sie sie gerade beschrieben hatte, war zu furchterregend, um ihn in Worte zu fassen. Gloria Cross war alles andere als gebrechlich, eher die Cindy Crawford in ihrem Seniorenclub. Sie war so knackig und schlank wie eine Barbiepuppe und besaß einen Kleiderschrank voller Designerklamotten, für die manche andere Frau gemordet hätte. Sie als alt zu bezeichnen, war schlimm genug; sie senil zu nennen, war gefährlich. Normalerweise hätte Honey derlei nie gewagt. Aber sie war zu der Überzeugung gelangt, dass sie hier besser rasch verschwand. Außerdem war ihre Mutter nicht in Hörweite und würde das alles nie erfahren. Kein Problem also!
Dr. Dexter stand hinter Serena Sarabande an dem großen Fenster, das vom Boden bis zur Decke reichte. Die beiden beobachteten, wie Honey in ihr Auto stieg und fortfuhr. Beide entspannten sich sichtlich, als sie endlich außer Sichtweite war.
»Als hätte uns etwas daran gelegen, dass sie hierbleibt!«, murmelte Serena.
Dr. Dexter lächelte. »Das war alles Blödsinn, dass ihre Mutter krank ist. Die Tochter hat jedenfalls am Telefon nichts von einer kranken und senilen Oma gesagt, was nur wieder beweist, dass sie so scharf drauf war, hier abzureisen, wie wir scharf drauf waren, sie von hinten zu sehen.«
»Solange keiner von uns bei diesem Gespräch erwähnt wurde.«
Serenas Stimme war so verführerisch wie die Schlangenbewegung ihres Hinterteils an seinem Körper.
Roger Dexter packte sie bei den Hüften und presste sie noch fester an seinen Unterleib. »Nein, wir wurden nicht erwähnt.«
»Dann können wir die Sache als erledigt betrachten?«
»Ja.«
Sie befreite sich von seinen Händen und drehte sich zu ihm hin. Dieses Lächeln war nur für ihn bestimmt. Ihre Augen sagten alles. »Herr Doktor. Was könnten wir denn mit der vielen Zeit zwischen jetzt und dem nächsten Termin anfangen?«
Er lächelte zurück. »Momentchen. Ich werfe nur rasch eine Pille ein. Und dann wird uns schon was einfallen.«
Kapitel 16
Gleich bei ihrer Ankunft im Green River Hotel war Honey klar, dass etwas nicht stimmte.
Das Blaulicht von Einsatzfahrzeugen flackerte. Ein Polizeiauto und ein Krankenwagen standen auf der Straße.
Eine Menschenmenge war zusammengelaufen. Vermutungen und Beobachtungen wurden ausgetauscht, und die Kunde von dem, was hier geschehen war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer von einem neugierigen Zuschauer zum nächsten.
»Es wurde jemand tot aufgefunden.«
»War es Mord?«
»Nein, eine natürliche Todesursache – hat jedenfalls jemand gesagt. Vielleicht war die Person sehr alt.«
O nein! Honey drängelte sich durch die Menge und hatte nur einen einzigen Gedanken im Kopf. Bitte, lieber Gott, ich wollte doch mit meiner Behauptung das Schicksal nicht herausfordern, ich wollte nur so schnell wie möglich von dieser Schönheitsfarm weg.
Aber es war eindeutig mehr Notfallpersonal anwesend, als für die Leiche einer einzigen alten Dame nötig gewesen wäre.
Zunächst meinte Honey zu spüren, dass es im Empfangsbereich kühler als sonst war, aber dann wurde ihr klar, dass sie fröstelte, weil ihr der Schreck eiskalt in die Knochen gefahren war. So sehr fürchtete sie sich vor der Katastrophe, die sie vielleicht mit ihren unüberlegten Worten heraufbeschworen hatte.
Anna tat Dienst am Empfang. Nicht, dass dort viel zu tun gewesen wäre. Die Gäste lungerten herum. Normalerweisewären sie in der Stadt gewesen – auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten. Honey überlegte, dass ihnen der Rummel hier bestimmt zusagte, denn schließlich bekam man ja nicht alle Tage eine Leiche zu sehen.
Anna bemerkte Honey.
»Mrs. Driver!«
»Wo ist Lindsey?«
»Im Speisesaal.«
»O Gott! Da drin ist sie gestorben?«
Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um ein erschrecktes Stöhnen zu unterdrücken. Ihre Mutter war im Speisesaal gestorben?
Lindsey kam vom Speisesaal her mit gemessenen Schritten auf Honey zu, das erste Anzeichen dafür, dass nicht alles furchtbar und hoffnungslos war. Zwei Sanitäter
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