In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
Menschen bloß ein Schaulaufen für die Elite-Universitäten.«
Wendy war klar, dass Phil mit dieser Kritik vollkommen Recht hatte. Wenn man in den Vororten hier in der Gegend lebte, verwandelte die Welt sich während der Highschool-Zeit zu einer Art Konfettiparade aus Zulassungs- und Ablehnungsschreiben von Universitäten.
»Und jetzt sehen Sie sich meine alten Mitbewohner an«, fuhr Phil fort, dessen Aussprache immer undeutlicher wurde. »Von der Princeton University. Die Crème de la Crème. Kelvin war schwarz. Dan Waise. Steve bettelarm. Farley war eins von acht Kindern - aus einer großen katholischen Arbeiterfamilie. Wir haben es geschafft, dahin zu kommen - und wir waren damals
alle extrem unsicher und ziemlich unglücklich. Von meinen alten Highschool-Bekanntschaften ist der am glücklichsten geworden, der um die Ecke auf die Montclair State University gegangen und im zweiten Jahr gleich wieder ausgestiegen ist. Er arbeitet noch heute als Barkeeper. Und ist immer noch der zufriedenste Schweinehund, den ich kenne.«
Die gut gebaute junge Kellnerin brachte ihre Biere. »Die Nachos kommen in ein paar Minuten.«
»Kein Problem, meine Liebe«, sagte Phil lächelnd. Es war ein nettes Lächeln. Vor ein paar Jahren wäre es vielleicht erwidert worden, aber nein, heute nicht. Phil sah die junge Frau vielleicht eine Sekunde zu lange an, wobei Wendy nicht glaubte, dass diese es bemerkt hatte. Als die Kellnerin weg war, nahm Phil seine Flasche und prostete Wendy zu. Sie nahm ihre Flasche, stieß mit ihm an und beschloss, das Schattenboxen zu beenden.
»Phil, was sagt Ihnen der Ausdruck ›Narbengesicht‹?«
Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, runzelte die Stirn, um Zeit zu gewinnen, sagte sogar überrascht: »Hä?«
»Narbengesicht.«
»Was ist damit?«
»Was sagt es Ihnen?«
»Nichts.«
»Sie lügen.«
»Narbengesicht?« Er runzelte die Stirn. »Gab’s da nicht so einen Film? Mit Al Pacino, stimmt’s?« Er verzog das Gesicht und sagte mit einem absurden Akzent: »Say hello to my little friend.« Er versuchte, es durch ein Lachen zu überspielen.
»Wie ist es mit ›Auf die Jagd gehen‹?«
»Woher haben Sie das, Wendy?«
»Kelvin.«
Schweigen.
»Ich habe ihn heute gesehen.«
Phils Antwort überraschte sie. »Ja, ich weiß.«
»Woher?«
Er beugte sich vor. Hinter ihm ertönte ein glückliches Juchzen. Jemand rief: »Lauft! Lauft!« Zwei Spieler der Yankees sprinteten nach einem langsamen Ball in die Mitte auf die Home Plate zu. Der erste schaffte es locker. Der zweite rannte mit dem Ball um die Wette, sprang dann ab und rutschte rechtzeitig in Sicherheit. Wieder jauchzten die Fans.
»Ich versteh nicht«, sagte Phil, »was Sie eigentlich noch wollen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Das arme Mädchen ist tot. Und Dan auch.«
»Und?«
»Und damit ist die Sache erledigt. Es ist vorbei, stimmt’s?«
Sie sagte nichts.
»Was wollen Sie jetzt noch?«
»Phil, haben Sie Geld unterschlagen?«
»Wen interessiert das?«
»Haben Sie das?«
»Ist es das? Wollen Sie beweisen, dass ich unschuldig bin?«
»Unter anderem.«
»Versuchen Sie nicht, mir zu helfen, okay? Das ist besser für mich und besser für Sie. Das ist besser für alle. Bitte halten Sie sich da raus.«
Er blickte zur Seite, griff mit der rechten Hand nach der Flasche und führte sie schnell zum Mund. Dann trank er einen kräftigen Schluck. Wendy musterte ihn. Einen Moment lang sah sie, was Sherry womöglich inzwischen auch sah - eine leere Hülle. Etwas in ihm - ein Leuchten, ein Funke, wie man es auch nennen wollte - war schwächer geworden. Sie erinnerte sich an das, was Pops über Männer gesagt hatte, die ihren Job
verloren, und was das in ihnen bewirkte. Sie erinnerte sich an einen Satz aus einem Theaterstück, dass ein Mann, der keinen Job habe, den Kopf nicht aufrechthalten und seinen Kindern nicht in die Augen sehen könne.
Seine Stimme war eine Art eindringliches Hauchen: »Bitte. Sie müssen sich da raushalten.«
»Dann wollen Sie nicht die Wahrheit wissen?«
Er begann, das Etikett von der Flasche zu pulen. Dabei starrte er auf das Werk seiner Hände wie ein Künstler bei der Arbeit mit Marmor. »Wendy, Sie glauben offenbar, da hätte uns jemand bösen Schaden zugefügt«, sagte er leise. »Das stimmt aber nicht. Das, was bisher passiert ist, war nur ein kleiner Klaps. Und wenn wir jetzt die Finger davon lassen, hört das Ganze einfach auf. Wenn wir aber weiter da drin rumstochern, wird es bestimmt noch sehr viel
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