In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
und beobachtete, wie das Wasser ins Glas lief. »Netter Kerl und ein sehr erfolgreicher Anwalt. Er hat mir vor ein paar Jahren erzählt, dass er von ganzem Herzen für den Irakkrieg ist. Hat mir jede Menge Gründe genannt, die dafür sprächen, außerdem hätten die Iraker eine Chance verdient, in Freiheit zu leben. Ich habe zu ihm gesagt: ›Du hast doch einen Sohn, stimmt’s?‹ Er sagte: ›Ja, er geht auf die Wake Forest University.‹ Ich habe ihn gefragt: ›Sei ehrlich, würdest du das Leben deines Sohns für diesen Krieg opfern?‹ Ich habe ihn aufgefordert, wirklich tief in sich zu gehen. Sich vorzustellen, dass Gott vom Himmel herunterkäme und zu ihm sagen würde: ›Okay, ich mache dir folgenden Vorschlag: Die USA gewinnen den Krieg im Irak, was immer das auch bedeuten mag, aber dafür bekommt dein Sohn eine Kugel in den Kopf und stirbt. Nur er. Niemand sonst. Alle anderen kehren sicher wieder nach Hause zurück, aber dein Sohn stirbt.‹ ›So‹, habe ich dann meinen Freund gefragt, ›würdest du auf den Deal eingehen?‹«
Ed Grayson drehte sich um und trank einen kräftigen Schluck Wasser.
»Was hat er geantwortet?«, fragte sie.
»Was hätten Sie geantwortet, Wendy?«
»Ich bin nicht Ihr Freund, der Anwalt, der den Irakkrieg unterstützt hat.«
»So kann man der Frage auch ausweichen.« Grayson lächelte.
»In Wahrheit, wenn wir ganz in Ruhe darüber nachdenken, würde keiner von uns darauf eingehen, stimmt’s? Niemand würde sein eigenes Kind opfern.«
»Weltweit schicken Menschen jeden Tag Kinder in den Krieg.«
»Klar, natürlich sind manche Leute bereit, ihre Kinder in den Krieg zu schicken, allerdings nicht in den sicheren Tod. Das ist ein Riesenunterschied, selbst wenn dafür in manchen Fällen eine ordentliche Dosis Selbstverleugnung erforderlich ist. Man mag bereit sein, ein Risiko einzugehen, abzuwarten, wie die Würfel fallen, weil man eigentlich nicht daran glaubt, dass das eigene Kind zu denjenigen gehört, die im Krieg fallen. Das ist etwas anderes. Man wird nicht vor die gleiche Wahl gestellt wie in der Situation, die ich beschrieben habe.«
Er sah sie an.
»Erwarten Sie jetzt Applaus?«, fragte sie.
»Sind Sie anderer Ansicht?«
»Mit Ihrer Hypothese setzen Sie die Opferbereitschaft dieser Menschen herab«, sagte Wendy. »Außerdem ist das Unsinn.«
»Na ja, ganz fair ist es nicht, das will ich Ihnen gerne zugestehen. Aber für unsere Situation enthält dieses Szenarium ein sehr bedeutendes Element, Wendy. Dan wird meinem Kind nicht noch einmal etwas antun, und Ihr Sohn ist zu alt für ihn. Lassen Sie ihn davonkommen, weil Ihr Kind vor ihm sicher ist? Haben Sie oder ich das Recht, unsere Hände in Unschuld zu waschen, weil es nicht um unsere Kinder geht?«
Sie sagte nichts.
Ed Grayson stand auf. »Allein dadurch, ihn wegzuwünschen, werden Sie ihn nicht los, Wendy.«
»Ich bin kein Freund von Selbstjustiz, Mr. Grayson.«
»Darum geht es hier nicht.«
»Klingt aber so.«
»Dann denken Sie mal über Folgendes nach.« Grayson starrte sie an, wartete, bis sie ihn ansah und ihm ihre volle Aufmerksamkeit schenkte. »Wenn Sie in die Vergangenheit zurückreisen und Ariana Nasbro aufhalten könnten …«
»Stopp«, sagte sie.
»Wenn Sie sich zu ihrer ersten Alkoholfahrt in der Vergangenheit begeben könnten. Oder zu ihrer zweiten oder der dritten …«
»Sie sollten jetzt endlich den Mund halten.«
Ed Grayson nickte, offensichtlich zufrieden darüber, ins Schwarze getroffen zu haben.
»Ich muss wieder los.« Er verließ die Küche und ging zur Haustür. »Denken Sie drüber nach, okay? Mehr will ich ja gar nicht. Wir stehen beide auf derselben Seite, Wendy. Und das wissen Sie selbst am besten.«
Ariana Nasbro.
Als Grayson gegangen war, versuchte Wendy, den verdammten Brief zu vergessen, der in ihrem Papierkorb steckte.
Sie schaltete ihren iPod an, schloss die Augen und ließ die Musik auf sich wirken. Sie wählte den Ordner mit beruhigender Musik aus, in dem unter anderem »Angels on the Moon« von Thriving Ivory, »Please Forgive Me« von William Fitzsimmons und »High Heels and All« von David Berkeley waren. Aber auch diese Songs übers Vergeben und Vergessen halfen nicht. Sie probierte es anders herum, zog sich Trainings-Klamotten an, drehte die Lautstärke hoch und versuchte sich zu allen möglichen anderen Songs abzureagieren - von Stücken aus ihrer Kindheit - »Shout« von Tears for Fears - über The Hold Steadys »First Night« bis Eminems »Lose
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