In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
Bescheidenheit nur benutzt, um sein wahres Ich dahinter zu verbergen. Man konnte es Instinkt nennen, weibliche Intuition oder ein Bauchgefühl - ganz egal, was Wendy da empfunden hatte, es war falsch gewesen.
»Ich hab es nicht getan, Wendy.«
Schon wieder ein Ich . Das war ja wirklich ein toller Tag.
»Stimmt, das haben Sie am Telefon schon gesagt«, erwiderte sie. »Könnten Sie das noch etwas näher erläutern?«
Er sah verloren aus, wusste nicht, wie er fortfahren sollte. »Sie haben doch Nachforschungen über mich angestellt, seit ich nach Ihrer Sendung festgenommen wurde, oder?«
»Und?«
»In der Zeit haben Sie bestimmt mit vielen Kids geredet, mit denen ich im Jugendzentrum gearbeitet habe? Wie viele waren das?«
»Welche Rolle spielt das?«
»Mit wie vielen Jugendlichen haben Sie gesprochen, Wendy?«
Sie konnte sich schon denken, worauf er hinauswollte. »Mit siebenundvierzig«, sagte sie.
»Und wie viele von ihnen haben behauptet, dass ich sie missbraucht hätte?«
»Null. Öffentlich. Aber es sind mehrere anonyme Hinweise eingegangen.«
»Anonyme Hinweise«, wiederholte Dan. »Sie meinen diese anonymen Blogs, die jeder schreiben könnte, sogar Sie selbst.«
»Oder ein verängstigter Teenager.«
»Sie haben selbst so wenig Vertrauen in diese Blogs, dass Sie sie in Ihrer Sendung gar nicht erst erwähnt haben.«
»Ein Beweis für Ihre Unschuld ist das aber trotzdem nicht, Dan.«
»Komisch.«
»Was?«
»Ich dachte, das ginge andersherum. Man wäre unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist.«
Sie versuchte, die Augen zu rollen. Auf solche Spielchen wollte sie sich nicht einlassen. Es wurde Zeit, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben. »Wissen Sie, auf was ich bei meinen Nachforschungen noch gestoßen bin?«
Dan Mercer schien noch weiter wegzurücken, verschwand fast vollständig in der Ecke. »Was?«
»Nichts. Keine Freunde, keine Familie, keine echten Bindungen. Abgesehen von Ihrer Exfrau Jenna Wheeler und dem Jugendzentrum sind Sie so eine Art Geist.«
»Meine Eltern sind gestorben, als ich noch klein war.«
»Ja, ich weiß. Sie sind in einem Waisenhaus in Oregon aufgewachsen.«
»Und?«
»Und daher gibt es große Löcher in Ihrem Lebenslauf.«
»Ich wurde reingelegt, Wendy.«
»Klar. Und trotzdem sind Sie zum richtigen Zeitpunkt im von Ihrem Anwalt als ›Hausefalle‹ bezeichneten Haus aufgetaucht, stimmt’s?«
»Ich dachte, ich wäre auf dem Weg zu einer Jugendlichen, die in Schwierigkeiten steckt.«
»Mein Held. Und da sind Sie einfach so ins Haus gegangen?«
»Chynna hat mich gerufen.«
»Sie hieß Deborah, nicht Chynna. Sie arbeitet als Produktionsassistentin beim Sender. Was für ein Zufall, dass ihre Stimme genauso klingt wie die Ihres geheimnisvollen Mädchens.«
»Sie war ziemlich weit weg«, sagte er. »Die Falle haben Sie sich doch selbst ausgedacht, oder? Vor der Kamera den Eindruck zu erwecken, als ob sie gerade aus der Dusche käme?«
»Verstehe. Sie dachten, sie wäre ein Mädchen namens Chynna aus Ihrem Jugendzentrum, richtig?«
»Ja.«
»Natürlich habe ich mich auf die Suche nach dieser Chynna gemacht, Dan. Nach Ihrem geheimnisvollen Mädchen. Um auch die letzten Zweifel zu beseitigen. Sie haben sich ja sogar mit unserem Zeichner zusammengesetzt, um ein Phantombild zu machen.«
»Selbstverständlich.«
»Und soll ich Ihnen was sagen? Ich habe das Bild allen Leuten in der Umgebung gezeigt - den Angestellten und Bewohnern des Jugendzentrums natürlich sowieso. Keiner kannte Ihre Chynna oder hatte sie schon einmal gesehen. Niemand.«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie sich vertraulich an mich gewandt hatte.«
»Wie praktisch. Außerdem hat jemand den Laptop in Ihrem Haus benutzt, um diese schrecklichen Texte von dort zu verschicken?«
Er sagte nichts.
»Und - helfen Sie mir, Dan - dieser Jemand hat auch diese Fotos auf den Laptop heruntergeladen, stimmt’s? Ach, und dann hat noch jemand - wenn wir Ihrem Anwalt glauben schenken, müsste ich das wohl gewesen sein - ekelerregende Bilder von Kindern in Ihrer Garage versteckt.«
Dan Mercer schloss niedergeschlagen die Augen.
»Wissen Sie, was Sie tun sollten, Dan? Jetzt, wo Sie frei sind und der Arm des Gesetzes Sie nicht mehr zu fassen bekommt, sollten Sie sich Hilfe suchen. Gehen Sie zu einem Therapeuten.«
Dan rang sich ein Lächeln ab und schüttelte den Kopf.
»Was ist?«
Er sah sie an. »Sie haben jetzt zwei Jahre lang Pädophile gejagt. Sie müssten es doch besser
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