In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
Schritte exakt und präzise ausgeführt. Natürlich lagen weder Rhythmus noch Ausdruck in ihrem Tanz, aber die Schrittfolge hat sie fehlerfrei abgearbeitet. Und ich habe mir dieses kleine Wunder angesehen und wäre vor Stolz fast geplatzt.«
Ted sah sie an, als suchte er in ihrem Gesicht nach einer Bestätigung seiner Erinnerung. Marcia nickte, und jetzt hatte auch sie - trotz dieser grausigen Aufgabe - ein leichtes Lächeln im Gesicht.
»Und so«, fuhr Ted fort, »saß ich da also mit Tränen in den Augen und dachte darüber nach, wie wunderbar dieser Moment doch war, und dann - und das fand ich am faszinierendsten -
schaute ich mich in der Aula um, sah die anderen Eltern an, und mir wurde klar, dass alle, jeder Einzelne, genau dasselbe für sein eigenes Kind empfand. Na ja, das war eigentlich vollkommen offensichtlich und banal, aber trotzdem war ich damals einfach überwältigt von diesem Gedanken. Ich fand es einfach unglaublich, dass dieses großartige Gefühl, diese Woge überschäumender Liebe, nicht nur uns erfasst hatte, dass das, was wir empfanden, nicht einzigartig war - und das hat es dann sogar noch größer und beeindruckender gemacht. Ich weiß noch, wie ich mir die anderen Eltern im Publikum angesehen habe, alle mit einem Lächeln im Gesicht und feuchten Augen. Die Frauen haben wortlos die Hände ihrer Männer ergriffen. Und ich bin vor Ehrfurcht fast dahingeschmolzen. Weil ich es einfach unglaublich fand, dass ein Raum wie diese Schulaula so von reiner Liebe erfüllt sein konnte, ohne dann einfach abzuheben.«
Marcia wollte etwas sagen, bekam aber kein Wort heraus. Ted zuckte die Achseln, drehte sich um und begann, den Abhang hinaufzuklettern. Er suchte sich einen festen Tritt, hielt sich an einem dünnen Baum fest und zog sich hoch. Schließlich sagte Marcia: »Ich habe solche Angst, Ted.«
»Wir schaffen das schon«, sagte er.
Sie lächelten nicht mehr. Die Wolken wurden immer dunkler. Ein Hubschrauber flog über sie hinweg. Ted drehte sich um und streckte Marcia die Hand entgegen. Sie nahm sie. Er zog sie hoch. Dann suchten die beiden weiter nach ihrer Tochter.
Zwei Tage später fand die Hundestaffel am Rande des Ringwood State Parks in einem flachen Grab Haley McWaids Leiche.
ZWEITER TEIL
FÜNFUNDZWANZIG
B eerdigungen liefen immer sehr ähnlich ab. Man sprach dieselben Gebete, las die üblichen Bibelstellen, es wurden die vermeintlich tröstenden Worte gesprochen, die, besonders in solchen Situationen, in den Ohren eines Außenstehenden oft entweder wie banale Ausflüchte oder wie fast schon obszöne Rechtfertigungen klangen. Auf der Kanzel passierte auch immer das Gleiche - echte Unterschiede gab es eigentlich nur bei den Reaktionen der Trauernden.
Die Beerdigung Haley McWaids hatte sich wie eine bleierne Decke über das Viertel gelegt. Der Kummer lastete auf allen, erschwerte jede Bewegung und füllte die Lunge mit Glasscherben, so dass jeder Atemzug zur Qual wurde. Im Moment litten alle, die hier wohnten, aber Wendy wusste genau, dass das nicht so bleiben würde. Sie hatte es bei Johns vorzeitigem Tod erlebt. Kummer hatte eine verheerende Wirkung, er zerfraß die Menschen. Aber bei Freunden, selbst bei den engsten Freunden, kam der Kummer nur zu Besuch. Bei der Familie blieb er länger, oft ging er nie ganz - aber das sollte wahrscheinlich auch so sein.
In der Kirche hatte Wendy sich ganz hinten in die Ecke gestellt. Sie war spät gekommen und früh wieder gegangen. Sie hatte Marcia oder Ted nicht angesehen. Das würde sie sich jetzt »echt nicht antun«, wie Charlie, der noch am Leben war, so gerne sagte. Es war einfach eine Art Selbstschutz, und für sie war das so in Ordnung.
Die Sonne brannte vom Himmel. Auch das schien bei Beerdigungen immer gleich zu sein. Ihre Gedanken wollten wieder zu John zurückkehren, an seinen geschlossenen Sarg, aber sie unterdrückte auch diesen Impuls. Sie ging die Straße entlang. An der Ecke blieb sie stehen, schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken, so dass ihr die Sonne ins Gesicht schien. Es war elf Uhr, Zeit, sich mit Sheriff Walker im Büro der Gerichtsmedizinerin zu treffen.
Die Gerichtsmedizin für die Countys Essex, Hudson, Passaic und Somerset befand sich in Newark in einem deprimierenden Teil der Norfolk Street. Mit Newark war es in letzter Zeit tatsächlich wieder etwas bergauf gegangen, allerdings nur im Osten der Stadt. Hier hingegen hatte sich nicht viel getan. Eigentlich recht passend für die Gerichtsmedizin.
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