In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
hast es ja nicht verlangt«, erwiderte Norm. »Wir wollen es. Verdammt, vielleicht ist es für uns sogar noch wichtiger als für dich.«
Phil schwieg.
»Vielleicht sollten wir damit anfangen, dass wir uns dieses virale Marketing nochmal genauer angucken und herauszubekommen versuchen, wer dafür verantwortlich ist. Und wir können dir auch bei der Suche nach diesem Kelvin, eurem fünften Mitbewohner, helfen. Außerdem haben wir alle Kinder, Phil. Wenn meine Tochter vermisst werden würde, wäre ich für jede Hilfe dankbar.«
Phil nickte. »Okay.« Dann: »Danke.«
Wir haben alle irgendwelche Fähigkeiten. Das hatte Ten-A-Fly gesagt. Lasst uns unser Fachwissen für etwas Sinnvolles einsetzen. Als Wendy sich diesen Satz noch einmal durch den Kopf gehen ließ, stutzte sie. Fachwissen. Die Leute neigten dazu, etwas aus der Perspektive zu betrachten, die ihnen vertraut war, mit der sie sich auskannten, oder? Wendy sah die Skandale mit den Augen einer Reporterin, Ten-A-Fly mit denen eines Marketing-Experten, Owen durch eine Kameralinse …
Ein paar Minuten später begleitete Ten-A-Fly Wendy zur Tür. »Wir bleiben in Kontakt«, sagte er.
»Sie sollten nicht so hart mit sich ins Gericht gehen«, sagte sie.
»Inwiefern?«
»Die Sache mit dem Misserfolg.« Wendy nickte in Richtung des Laptops. »Ein Versager findet gewiss niemanden, der sechshundert Dollar für ein benutztes Stirnband bietet.«
Ten-A-Fly lächelte. »Das hat Sie schwer beeindruckt, was?«
»Ja.«
Er beugte sich vor und flüsterte: »Soll ich Ihnen ein kleines Geheimnis verraten?«
»Gern.«
»Die Angebote stammen von meiner Frau. Sie hat sogar zwei Online-Identitäten und steigert sich selbst hoch, damit es echter aussieht. Sie glaubt, ich wüsste es nicht.«
Wendy nickte. »Damit wäre es endgültig bewiesen«, sagte sie.
»Wieso?«
»Ein Mann, der von seiner Frau so geliebt wird«, sagte Wendy, »den kann man wirklich nicht als Versager bezeichnen.«
VIERUNDZWANZIG
Ü ber dem Ringwood State Park waren dunkle Wolken aufgezogen. Marcia McWaid stapfte durch den dichten Wald, ihr Mann Ted ging ein paar Schritte voraus. Marcia hoffte, dass es nicht zu regnen anfing, aber die Wolkendecke war eindeutig besser als die gleißende Sonne vom Vormittag.
Weder Ted noch Marcia waren große Wander- oder Campingfreunde. Eigentlich mieden sie alles, was man unter dem Begriff »Outdoor« zusammenfassen konnte. Vorher - da war es wieder, dieses stets präsente »Vorher«, eine untergegangene Welt voller wunderbarer Naivität aus einer vergangenen Ära - waren die McWaids gern in Museen, Buchhandlungen und angesagte Restaurants gegangen.
Als Ted nach rechts blickte, sah Marcia sein Profil - und das, was sie darin sah, überraschte sie. Trotz der Tatsache, dass sie sich gerade mit der grausigsten Aufgabe beschäftigten, die man sich vorstellen konnte, sah sie ein leichtes Lächeln in seinem hübschen Gesicht.
»Woran denkst du?«, fragte Marcia ihren Mann.
Er ging weiter. Das leichte, wehmütige Lächeln verschwand nicht. Er hatte Tränen in den Augen, aber das hatten sie beide in den letzten drei Wochen fast ununterbrochen. »Erinnerst du dich an Haleys Tanzaufführung?«
Haley hatte nur ein Mal vorgetanzt. Als sie sechs Jahre alt war. Marcia sagte: »Ich glaube, das war das letzte Mal, dass sie rosafarbene Sachen anhatte.«
»Weißt du noch, wie sie ausstaffiert war?«
»Klar«, sagte Marcia. »Die Mädchen sollten Zuckerwatte darstellen. Das passte eigentlich überhaupt nicht zu ihr.«
»Das stimmt.«
»Und wie kommst du da jetzt drauf?«
Ted blieb vor einer Steigung stehen. »Kannst du dich auch noch an die Aufführung selbst erinnern?«
»Ja, das war in der Aula der Mittelschule.«
»Genau. Wir Eltern saßen da in dieser fast dreistündigen und unglaublich langweiligen Vorstellung, und alle haben nur auf die zwei Minuten gewartet, in denen ihr eigenes Kind auf der Bühne stand. Haleys Zuckerwattetanz war so ungefähr die achte oder neunte von vielleicht fünfundzwanzig bis dreißig Nummern, und als sie mit ihren Mittänzerinnen herauskam, haben wir uns angestupst. Ich weiß noch, dass ich dann gelächelt habe, na ja, und als ich meine Tochter so sah, habe ich einen Moment lang reine Freude empfunden. Das war fast so, als ob ein Licht in meiner Brust angegangen wäre. Als ich Haley ins Gesicht schaute, da war es ganz angespannt vor Konzentration, weil, na ja, Haley war eben damals schon Haley. Sie wollte keinen Fehler machen. Sie hat alle
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