In seinen Händen - Coben, H: In seinen Händen - Caught
alten Freunden helfen.«
»Kelvin? Er ist nicht in der Lage, irgendjemandem zu helfen.«
Wieder so eine kryptische Antwort. Langsam ging ihr das auf die Nerven. »Wenn man Sie so hört, könnte man denken, dass er tot ist.«
»So gut wie.«
»Ich möchte nicht melodramatisch klingen, Mr. Tilfer, aber es geht wirklich um Leben und Tod. Wenn Sie nicht mit mir reden wollen, können wir das auch mit Hilfe der Polizei erledigen. Jetzt bin ich alleine hier, aber ich kann ebenso gut mit einem Team vom Sender wiederkommen - mit Kameras, Mikrofonen und allem, was sonst noch so dazugehört.«
Ronald Tilfer stieß einen tiefen Seufzer aus. Natürlich war das eine leere Drohung gewesen, aber das konnte er schließlich nicht wissen. Er kaute auf seiner Unterlippe. »Und es reicht Ihnen nicht, wenn ich Ihnen mein Wort gebe, dass er Ihnen nicht helfen kann, oder?«
»Tut mir leid.«
Er zuckte die Achseln. »Okay.«
»Okay was?«
»Ich fahr mit Ihnen zu Kelvin.«
Wendy betrachtete Kelvin Tilfer durch eine dicke Sicherheitsglasscheibe.
»Seit wann ist er hier?«
»Dieses Mal?« Ronald Tilfer zuckte die Achseln. »Seit drei Wochen ungefähr. Wahrscheinlich lassen sie ihn in einer Woche wieder raus.«
»Und was macht er dann?«
»Er lebt auf der Straße, bis er sich oder jemand anderen in Gefahr bringt. Dann wird er wieder hier eingeliefert. Der Staat hält nichts mehr von Langzeitaufenthalten in der geschlossenen Psychiatrie. Also entlassen sie ihn wieder.«
Kelvin Tilfer kritzelte wütend etwas in sein Notizbuch. Seine Nase war nur wenige Zentimeter vom Papier entfernt. Dabei schrie er so laut, dass Wendy ihn sogar durch das dicke Glas hörte. Es waren nur unzusammenhängende Sätze. Kelvin sah viel älter aus als seine ehemaligen Kommilitonen, hatte graue Haare und einen grauen Bart. Ihm fehlten mehrere Zähne.
»Er war der Klügere von uns«, sagte Ronald. »Ein echtes Genie, besonders in Mathe. Dafür auch das Notizbuch. Es ist voller mathematischer Formeln und Probleme. Er arbeitet den ganzen Tag daran und schreibt sie auf. Er kann seinen Kopf nie abschalten. Unsere Mom hat immer wieder versucht, ihn zu einem normalen Jungen zu erziehen. Sie wissen schon, die Lehrer haben öfters vorgeschlagen, dass er eine Klasse überspringen soll. Aber Mom hat das nicht erlaubt. Sie hat ihn zum Sport geschickt - hat alles getan, dass er möglichst normal aufwächst. Aber es ist fast so, als hätten wir gewusst, dass er sich in diese Richtung entwickelt. Sie hat immer versucht, sich gegen den Wahnsinn anzustemmen. Aber das war so, als wollte man mit bloßen Händen eine Flutwelle aufhalten.«
»Was hat er?«
»Er ist schizophren. Dazu kommen zeitweilig extrem schwere psychische Störungen.«
»Nein, ich meine, was ist mit ihm passiert? Warum ist er so geworden?«
»Was soll passiert sein? Er ist krank. Es gibt kein Warum.«
Es gibt kein Warum - das hörte sie heute schon zum zweiten Mal.
»Wie bekommt man Krebs? Er ist ja nicht so geworden, weil Mommy ihn immer geschlagen hat. Er hat ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn. Und das hatte er, wie gesagt, schon immer. Selbst als Kind hat er nie richtig geschlafen. Er konnte den Kopf einfach nicht abschalten.«
Wendy erinnerte sich daran, was Phil gesagt hatte. Schräg. Ein schräges Mathe-Genie. »Gibt es da keine Medikamente?«
»Zur Beruhigung schon, natürlich. Die haben dann so eine ähnliche Wirkung wie ein Betäubungsgewehr bei einem Elefanten. Er weiß trotzdem nicht, wer oder wo er ist. Nach seinem Abschluss in Princeton hat er eine Stelle bei einem Pharma-Unternehmen bekommen, aber er ist einfach immer wieder verschwunden. Sie haben ihn dann gefeuert. Dann hat er auf der Straße gelebt. Wir haben acht Jahre lang nicht gewusst, wo er ist. Als wir ihn schließlich in einem Pappkarton in seinem eigenen Kot gefunden haben, hatte Kelvin diverse Knochenbrüche erlitten, die nicht wieder ordentlich verheilt waren. Er hatte mehrere Zähne verloren. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie er das überhaupt überlebt hat, wovon er sich ernährt hat und was er damals alles durchgemacht haben muss.«
Kelvin fing wieder an zu schreien. »Himmler! Himmler mag Thunfischsteaks!«
Sie sah Ronald an. »Himmler? Der alte Nazi?«
»Da fragen Sie mich zu viel. Was er sagt, ergibt nie irgendwelchen Sinn.«
Kelvin konzentrierte sich wieder auf sein Notizbuch. Er schrieb jetzt noch schneller.
»Kann ich mit ihm reden?«, fragte sie.
»Das soll jetzt ein Witz sein,
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