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In seiner Hand

Titel: In seiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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kommen erst morgen zurück«, erklärte er.
    »Ich habe wieder mit der Frau gesprochen, die auf ihren Hund aufpasst. Sie haben noch eine Nacht in Paris angehängt. Am besten, wir fahren morgen Nachmittag zu ihnen. Es ist nicht so weit, gleich auf der anderen Seite der M25.«
    »Das wird nicht einfach.«
    »Ja.« Einen Moment lang wirkte sein Gesicht völlig ausdruckslos. Dann fügte er in betont fröhlichem Ton hinzu: »So, nun aber los. Zeit für die Katzenjagd.«
    »Bist du sicher, dass du dir das antun willst? Ich meine, es ist wahrscheinlich sowieso für die Katz, im wahrsten Sinne des Wortes.«

    »Immerhin werde ich dich als Gesellschaft haben.« Er schlang einen Arm um mich, und wir gingen zu seinem Wagen. Ich musste kurz an mein eigenes Auto denken, das schon wieder auf einem Parkplatz für abgeschleppte Fahrzeuge stand, schob den Gedanken aber sofort wieder weg. Mit diesen Dingen würde ich mich später auseinandersetzen. Freundschaften, Familie, Arbeit, Geld (chronischer Mangel), Steuererklärungen, Strafzettel, längst überfällige Leihbücher aus der Bibliothek – das alles musste warten.
    Wir parkten in einer kleinen Straße wenige hundert Meter von Jos Wohnung entfernt. Wir wollten eine Runde durch das Viertel drehen, aber es wurde ein langweiliges und frustrierendes Unterfangen. Unser Besuch beim Tierarzt brachte gar nichts. Von den Zeitungshändlern erkannte keiner Jos Foto, und nur in wenigen Läden gab es Karten, auf denen Haustiere angeboten wurden.
    Nach fast zwei Stunden hatte ich mir lediglich drei Telefonnummern notiert. Während wir zum Wagen zurückgingen, rief Ben die Leute von seinem Handy aus an. Wie sich herausstellte, waren zwei der Karten erst in den letzten paar Tagen aufgehängt worden und somit irrelevant. Die dritte Karte hing schon länger, und als Ben anrief, erklärte die Frau, es sei noch ein Kätzchen übrig, für das sie bisher kein Zuhause gefunden habe, aber wir würden es wahrscheinlich nicht wollen.
    Sie wohnte gleich um die Ecke, und wir beschlossen, sofort bei ihr vorbeizuschauen. Das Kätzchen war getigert und noch sehr klein. Die Frau, die groß und kräftig gebaut war, erklärte uns, es sei das schwächste Tier des Wurfs gewesen und deswegen so zart und zerbrechlich.
    Außerdem räumte sie ein, dass mit seinen Augen etwas nicht in Ordnung sei. Es stoße überall an, erklärte sie, und trete in seinen Fressnapf. Sie nahm es hoch und setzte es auf ihre große, schwielige Hand, wo es herzzerreißend miaute.
    Ich holte Jos Foto aus der Tasche und zeigte es ihr.
    »Hat sich diese Freundin von uns bei Ihnen nach einer Katze erkundigt?«, fragte ich.
    »Was?« Sie setzte den kleinen Tiger wieder auf den Boden und sah sich das Foto an. »Nein, nicht dass ich wüsste. Ich würde mich bestimmt an sie erinnern.
    Warum?«
    »Oh, das ist eine zu lange Geschichte«, antwortete ich, und sie hakte nicht nach. »Wir gehen dann wieder. Ich hoffe, Sie finden bald ein Zuhause für Ihr Kätzchen.«
    »Wohl kaum«, meinte sie. »Wer will schon eine blinde Katze? Ich werde sie ins Katzenasyl bringen müssen.
    Betty wird sie schon aufnehmen.«
    »Katzenasyl?«
    »Na ja, das klingt vielleicht zu offiziell. Betty ist einfach eine Katzennärrin. Total verrückt. Ihr ganzes Leben dreht sich nur um Katzen, etwas anderes interessiert sie nicht.
    Sie nimmt alle auf, die heimatlos herumstreunen.
    Mittlerweile hat sie bestimmt an die fünfzig, und sie bekommen ständig Junge. Dabei ist ihr Haus nur klein.
    Das muss man wirklich gesehen haben. Bestimmt treibt es ihre Nachbarn in den Wahnsinn. Wenn Sie nach einem Kätzchen suchen, sollten Sie bei ihr vorbeischauen.«
    »Wo wohnt sie?«, fragte ich und zückte mein Notizbuch.
    »Lewin Crescent. Die Nummer weiß ich nicht, aber Sie können es nicht verfehlen. Ein winziges Häuschen, bei dem im ersten Stock alle Fenster mit Brettern zugenagelt sind. Es sieht verlassen aus.«
    »Danke.«
    Wir gingen zum Wagen zurück.

    »Lewin Crescent?«, fragte Ben.
    »Warum nicht, nachdem wir schon mal hier sind.«
    Wir sahen auf dem Stadtplan nach und fuhren hin. Im Wagen war es wunderbar gemütlich, doch draußen blies ein eisiger, schneidender Wind. Unser Atem bildete weiße Wolken. Ben nahm meine Hand und lächelte zu mir herunter. Seine Finger waren warm und stark.
    Das Haus machte tatsächlich einen sehr heruntergekommenen Eindruck. Die Haustür wurde von erfrorenem Unkraut und ein paar halb verfaulten, mit Reif überzogenen Sonnenblumen eingerahmt, die

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