In seiner Hand
Mülltonne quoll über. An der Hauswand zog sich ein breiter Riss nach oben, und die Farbe der Fensterbretter blätterte ab.
Ich drückte auf den Klingelknopf, hörte aber kein Klingeln, so dass ich vorsichtshalber auch kräftig klopfte.
»Hör dir das an«, sagte Ben. Durch die Tür waren Miauen, Fauchen und seltsame Kratzgeräusche zu vernehmen. »Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich auf Katzen allergisch reagiere? Ich bekomme Asthma, und meine Augen werden feuerrot.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Ein Gesicht spähte zu uns heraus.
»Hallo«, sagte ich. »Entschuldigen Sie die Störung.«
»Sind Sie von der Stadt?«
»Nein. Uns hat bloß jemand erzählt, dass Sie viele Katzen haben.«
Die Tür schwang ein Stück weiter auf. »Dann kommen Sie rein – aber passen Sie auf, dass keine entwischt.
Schnell!«
Ich weiß nicht, was uns als Erstes entgegenschlug, die Wand aus Hitze oder der Geruch nach Katzenfutter, Ammoniak und Exkrementen. Überall tummelten sich Katzen. Sie lagen auf dem Sofa und den Sesseln, zusammengerollt vor dem elektrischen Heizkörper, als weiche braune Häufchen auf dem Boden. Einige putzten sich, ein paar schnurrten, zwei weniger friedliche Exemplare standen sich mit hohem Buckel und zuckendem Schwanz gegenüber und fauchten einander an.
Neben der Küchentür waren mehrere Schalen mit Futter aufgereiht, daneben drei oder vier Katzenklos. Das Ganze wirkte wie die widerliche Version eines Walt-Disney-Films. Ben blieb mit entsetzter Miene an der Tür stehen.
»Sie sind Betty, nicht wahr?« Ich versuchte, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Eine Katze schmiegte sich an meine Beine.
»Das ist richtig.«
Betty war schon alt. Ihr Gesicht war runzlig, die Haut an ihrem Hals faltig und schlaff. Ihre Finger und Handgelenke waren blau. Sie trug ein dickes, blaues Hemdblusenkleid, bei dem mehrere Knöpfe fehlten, und war von oben bis unten voller Katzenhaare. Aus ihrem zerfurchten Gesicht funkelten mich zwei gewitzte braune Augen an.
»Jemand hat uns erzählt, dass Sie streunende Katzen aufnehmen und manchmal an Leute abgeben, die ein Haustier suchen«, erklärte ich.
»Ich muss aber sicher sein, dass es sich um einen guten Platz handelt«, antwortete sie in scharfem Ton. »Da achte ich sehr darauf. Ich gebe sie nicht einfach an irgendjemanden ab. Das sage ich den Leuten immer wieder.«
»Wir glauben, dass eventuell eine Freundin von uns hier war.« Ich zog das Foto heraus.
»Natürlich war sie hier.«
»Wann?« Ich trat einen Schritt auf sie zu.
»Man dreht sich im Leben oft im Kreis, nicht wahr?
Aber sie kam nicht in Frage. Sie schien der Meinung zu sein, dass man eine Katze hinein- und hinausspazieren lassen kann, wie es ihr beliebt. Wissen Sie, wie viele Katzen jedes Jahr überfahren werden?«
»Nein«, antwortete ich. »Das weiß ich nicht. Sie wollten also nicht, dass sie eine von ihren Katzen bekam?«
»Sie schien sowieso nicht besonders erpicht darauf«, erwiderte Betty. »Sobald ich meine Zweifel an ihr geäußert hatte, war sie wieder draußen.«
»Und sie können sich nicht daran erinnern, wann das war?«
»Sagen Sie es mir.«
»Während der Woche? Am Wochenende?«
»Es war an dem Tag, an dem die Müllabfuhr kommt.
Die Männer klapperten gerade draußen herum, als sie da war.«
»An welchem Tag kommt denn bei Ihnen die Müllabfuhr?«
»Am Mittwoch.«
»Dann war es also ein Mittwoch«, schaltete sich Ben ein, der noch immer an die Haustür gelehnt stand. »Können Sie sich an die Uhrzeit erinnern?«
»Ich weiß nicht, wieso Sie das so interessiert.«
»Wir wollen Sie nicht …«, begann ich.
»Vormittags oder nachmittags?«, fragte Ben.
»Nachmittags«, antwortete sie widerwillig. »Meistens kommt die Müllabfuhr, wenn ich den Katzen gerade ihren Tee gebe. Nicht wahr, meine Lieben?« fügte sie an den ganzen Raum gewandt hinzu, der seltsam zu brodeln und zu wogen schien, weil sich überall Katzen bewegten.
»Vielen Dank«, sagte ich. »Sie haben mir sehr geholfen.«
»Das haben Sie beim letzten Mal auch gesagt.«
Ich hatte bereits die Hand nach dem Türgriff ausgestreckt und erstarrte mitten in der Bewegung. »Ich war schon mal hier?«
»Natürlich. Allerdings allein.«
»Betty, können Sie mir sagen, wann das war?«
»Sie brauchen nicht so zu schreien, ich bin weder taub noch blöd. Sie sind am Tag darauf gekommen. Haben Sie Ihr Gedächtnis verloren?«
»Nach Hause?«, fragte Ben.
»Nach Hause«, stimmte ich zu, lief aber
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