In seiner Hand
schaffen, dachte ich. Wenn es mir gelingt herauszufinden, was mit mir passiert ist, und wenn ich die Leute dazu bringen kann, mir zu glauben, dann werde ich mich wieder sicher fühlen können und ohne Angst Orte wie diesen hier aufsuchen, zwischen anderen Menschen sitzen und glücklich sein. Einfach eine Tasse Kaffee trinken, ein Stück Kuchen essen und sich sicher fühlen – das ist Glück. Ich hatte diese kleinen Freuden des Lebens schon ganz vergessen.
Ich verließ das Café, um mir einen Schwangerschaftstest zu besorgen.
Ich konnte mich nicht erinnern, Ben Brody je getroffen zu haben, obwohl ich einmal in seiner Werkstatt in Highbury gewesen war. Bei leichtem Schneefall machte ich mich auf den Weg. Ich spürte, wie meine Nase – der einzige Teil von mir, der der Kälte schutzlos ausgesetzt war –
wieder rot wurde. Um zu der Werkstatt zu gelangen, musste man von der Hauptstraße abbiegen und ein Stück weit eine kleine Seitenstraße hinaufgehen. Sein Name stand an der Tür: »Ben Brody, Produktdesigner«. Ich fragte mich, wie jemand Produktdesigner werden konnte.
Dann kam ich mir plötzlich sehr dumm vor. Wie um Himmels willen konnte jemand Büroausstatterin werden?
In dem Moment wurde mir klar, was für einen lächerlichen Job ich im Grunde gemacht hatte. Falls diese Sache je ein gutes Ende finden würde, könnte ich Gärtnerin, Bäckerin oder Schreinerin werden. Ich könnte etwas herstellen. Das heißt, wenn ich nicht zwei linke Hände hätte.
Ben Brody stellte tatsächlich etwas her. Zumindest baute er die Prototypen. Er hatte die Schreibtische und Stühle für Avalanche entworfen, ebenso die Raumteiler, die die riesige Bodenfläche des Büros weniger beängstigend wirken ließen. Wir hatten ihm zu wenig bezahlt und unseren Kunden zu viel berechnet.
Ich klopfte nicht an, sondern schob einfach die Tür auf und trat ein. In dem großen Raum standen Werkbänke verteilt. Zwei Männer standen neben einem Fahrradgestell.
Hinten in der Ecke war jemand mit einem Bohrer am Werk. Es roch nach Sägemehl. So ähnlich roch Pippa, wenn sie aufwachte und ihr runzeliges Gesicht zu einem Gähnen verzog. Süß und holzig.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Mr. Brody?«
»Nein, Ben ist hinten.« Er deutete mit dem Daumen auf eine Tür. »Im Büro. Soll ich ihn holen?«
»Nein, nicht nötig, ich finde den Weg.«
Als ich die Tür öffnete, blickte der Mann von seinem Schreibtisch auf. Ich ließ meine Wollmütze auf, setzte nur die dunkle Brille ab. In dem dunklen kleinen Raum konnte ich damit kaum etwas sehen.
»Ja?« Er starrte mich an. Einen Moment lang sah er aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Er nahm ebenfalls seine Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch. Er hatte ein schmales Gesicht, seine Hände waren groß und kräftig.
»Ja?«, fragte er erneut.
»Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht an mich. Mein Name ist Abbie Devereaux, ich bin von Jay & Joiner.«
Er starrte mich verständnislos an.
»Ich habe Sie nicht ganz vergessen«, meinte er schließlich.
»Was wollen Sie hier?« Sein Ton klang fast schon unhöflich. Ich zog einen Stuhl zu mir heran und nahm ihm gegenüber Platz.
»Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.
Ich versuche nur ein paar Punkte zu klären, die bei uns in der Firma noch unklar sind.«
»Ich verstehe nicht recht.« Er machte in der Tat einen höchst verblüfften Eindruck. »Warum sind Sie hier?«
»Wie gesagt, ich möchte lediglich ein paar Dinge klären.« Er sah mich bloß an. Ich versuchte es noch einmal. »Es gibt da ein paar Daten, aus denen ich nicht ganz schlau werde, es ist zu kompliziert, um im Einzelnen auf die Gründe einzugehen.«
»Zu kompliziert.«
»Fragen Sie mich lieber nicht. Sie wollen es nicht wissen, das dürfen Sie mir glauben. Ich wollte Sie lediglich fragen, wann wir uns gesehen haben. Wann wir uns das letzte Mal gesehen haben, meine ich.«
Hinter ihm klingelte das Telefon, und er schwang auf seinem Stuhl herum, um das Gespräch anzunehmen.
»Absolut nicht«, erklärte er in entschiedenem Ton.
»Gummi. Nein. Nein. Ja, das stimmt.« Er legte auf, drehte sich jedoch nicht wieder zu mir um. »Sie haben mich am Montag aufgesucht, am Montag vor drei Wochen, um mich über die Bedenken zu informieren, die Sie wegen des Avalanche-Vertrags hatten.«
»Danke«, sagte ich. Mein Nacken begann zu kribbeln, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, seine Stimme zu kennen. Nicht so sehr den Klang, eher die Intonation.
Meine Fingernägel
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