In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Hand hielt sie ein digitales Diktiergerät. »Ich würde gern ein Statement von Ihnen haben zu diesen beiden Tollwuttoten«, raunte sie verschwörerisch.
Theo staunte. Sie sah keinen Tag älter aus als sechzehn. »Für wen schreiben Sie denn?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen. »Mopo«, erwiderte sie stolz.
Oje, dachte Theo, jetzt gibt es bei der »Morgenpost« auch schon Kinderarbeit. »Ich kann Ihnen da wirklich nicht viel zu sagen.«
»Moment.« Sie fummelte hektisch an dem Gerät herum und beäugte es dann skeptisch.
»Scheint zu laufen.« Theo zeigte auf eine rot blinkende Diode.
»Ja … also … wegen der Tollwutfälle. Können Sie bestätigen, dass es bereits zwei Tote gibt?«
»Was heißt hier bereits?«
Sie starrte ihn an. »Na ja, vielleicht ist das ja erst der Anfang.« Theo las die Schlagzeile auf ihrer Stirn: Tollwutepidemie sucht Hamburg heim.
»Das wollen wir mal nicht hoffen.«
»Nein, natürlich nicht. Aber zwei Tote können Sie jetzt schon bestätigen.«
»Sicher.«
»Und die wurden von Vampirfledermäusen angefallen?« Sie hatte die Stimme gesenkt und die Augen aufgerissen.
»Vampirfledermäuse gibt es nicht in Europa. Aber sie haben sich über einen Fledermausbiss infiziert, das ist korrekt.«
»Danke schön«, sagte sie und drückte wieder auf ihrem Gerät herum.
Theo sah schon die nächste Schlagzeile vor sich: Vampire in Wilhelmsburg.
Hanna stieg aus ihrem kleinen Auto und reckte sich. Das Anwesen, vor dem sie stand, passte perfekt zur Profession des Mannes, den sie aufsuchen wollte. Mit seinen Giebeln und Türmchen und der verwitterten Fassade sah es sogar an einem strahlenden Frühsommertag aus wie ein erstklassiges Spukhaus. Unterhalb der Dachschrägen erspähte Hanna zahlreiche Holzkisten, deren Bewohner nicht zu sehen waren. Sie verschliefen sicherlich den Tag.
Sie klingelte an dem großen, schmiedeeisernen Tor, das sich lautlos öffnete. Der Besitzer des Hauses empfing sie an der Türschwelle. Professor Richard Rosenthal war ein zierlicher älterer Herr, dessen dünnes Haar ordentlich an seinem Schädel anlag.
»Kommen Sie herein in mein bescheidenes Refugium.« Er geleitete sie in ein großes Wohnzimmer, in dem ein gemütliches Durcheinander herrschte. Durch ein geöffnetes Fenster drang Vogelgezwitscher in den Raum. Es roch dezent nach Möbelpolitur.
Der Professor nahm in einem großen Ohrensessel Platz und schenkte ihr aus einer bereitstehenden Karaffe ein Glas Wasser ein.
»Ich soll Ihnen also etwas über Fledermäuse erzählen.«
»Ja, bitte.« Sie nahm ein Notizbuch zur Hand. »Sie scheinen ja weit und breit die größte Koryphäe auf diesem Gebiet zu sein.«
Rosenthal neigte, das Kompliment annehmend, den Kopf. »Nun ja«, sagte er. »Ich hoffe, Sie werden wegen dieser Tollwutvorfälle keine Vampirgeschichte erfinden.« Er blickte sie mit gespielter Strenge über sein Brillengestell hinweg an.
»Sie wissen davon?«
»Sicher, wenn es um Fledermäuse geht, wendet man sich immer an mich. Ich konnte die Bisswunden auch ziemlich eindeutig zuordnen.«
»Eine Breitflügelfledermaus«, sagte Hanna. Theo hatte sie gut vorbereitet.
»Ganz recht. Diese Spezies ist allerdings ein reiner Insektenfresser. Die fallen keine Menschen an – auch nicht, wenn sie an Tollwut erkranken.«
Er erhob sich und trat ans Fenster, wo er sich an einem der schweren Samtvorhänge zu schaffen machte. Als er sich wieder umdrehte, zuckte Hanna überrascht zusammen. An der Hand des Fledermausforschers hing ein mittelbraunes, pelziges Wesen wie eine überreife Frucht. »Sehen Sie, hier haben wir ein solches Exemplar.«
Fasziniert beobachtete Hanna, wie Leben in das kleine Geschöpf kam. Eine Schnauze und zwei Knopfaugen erschienen hinter den schwarzen, latexartigen Flügeln, in die das Tierchen sich komplett eingehüllt hatte. Neugierig beäugte es Hanna.
»Das ist Karlsson. Nach dem Roman von Astrid Lindgren.«
Hanna nickte. »Karlsson vom Dach.«
Er lachte. »Das fand ich passend. Ich bin dabei, den kleinen Kerl mit dem Fläschchen aufzuziehen. Er ist absolut zahm und garantiert tollwutfrei. Hier, wollen Sie auch mal halten?«
»Huch«, machte Hanna, als die kleine Fledermaus sich mit den Klauen, die am Ende der Flügel saßen, an ihrer dünnen Strickjacke hinaufhangelte. Auf ihrer Schulter ließ Karlsson sich nieder.
»Sehen Sie, er mag Sie.« Lächelnd nahm er ihr den Burschen wieder ab und verfrachtete ihn an seinen Platz in den Falten des Vorhangs. »Insgesamt gibt es in
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