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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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Deutschland dreiundzwanzig Fledermausarten«, begann er zu dozieren. »Die Kleinste von ihnen ist die Zwergfledermaus.« Zwischen Zeigfinger und Daumen deutete er eine winzige Spanne an. »Die ist so winzig, die passt problemlos in eine Streichholzschachtel. Erst vor Kurzem hat man herausgefunden, dass es eine Unterart gibt, die sogar noch kleiner ist. Mückenfledermaus hat man die getauft.« Er räusperte sich und nahm einen Schluck Wasser. »Die größte heimische Art ist das große Mausohr, die Tiere haben eine Flügelspannweite von rund vierzig Zentimetern. Sie leben bevorzugt in Kirchen. Aber bei mir fühlen die sich auch ganz wohl.«
    »In den Kästen, die bei Ihnen an der Hauswand hängen?«
    »Da auch, aber vor allem auf meinem Dachboden haben sie es sich gemütlich gemacht. Soll ich es Ihnen mal zeigen?«
    Sie stieg, dem Professor folgend, die schmale Stiege ins Obergeschoss hinauf. Die verblassten Tapeten mit den Jugendstilornamenten schienen noch aus der Bauzeit des Hauses vor geschätzten hundert Jahren zu stammen. Der Aufstieg endete in einer Mansarde, in der früher vermutlich die Dienstmädchen untergebracht gewesen waren. Der Professor griff nach einem Stock mit Haken, der an einen alten Wäscheschrank gelehnt war. Mit routinierten Bewegungen stieß er erst die Klappe zum Dachboden auf und zog dann mithilfe des Hakens eine Ausziehleiter herunter.
    »Gehen Sie nur«, sagte er und nickte Hanna aufmunternd zu. Vorsichtig und etwas beklommen kletterte sie die Leiter hinauf und steckte den Kopf durch die Luke. Das Erste, was ihr entgegenschlug, war ein ungeheurer Gestank.
    »Igitt«, sagte sie und hielt sich die Nase zu.
    Der Professor kicherte unten vergnügt in sich hinein. »Ich vergesse immer wieder, dass andere Menschen nicht an das Aroma gewöhnt sind.«
    Hanna bemühte sich, nicht durch die Nase zu atmen, und sah sich um. Nach und nach gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht. Der gesamte Dachstuhl war über und über mit Fledermäusen behängt. »Das müssen ja Hunderte sein!«
    »Und das hier ist noch eine kleinere Population.«
    Fasziniert starrte Hanna auf den atmenden, sich leise bewegenden Deckenbehang. Dann kletterte sie wieder hinunter.
    »Toller Anblick, oder?« Der Professor war augenscheinlich stolz auf seine Untermieter.
    »Wirklich eindrucksvoll.«
    »Das sind alles Weibchen mit ihren Jungen. Die kommen im Frühsommer zur Welt und da wissen die Damen einen Unterschlupf wie diesen zu schätzen.«
    Wieder im Wohnzimmer angekommen, trank Hanna rasch ein paar Schlucke Wasser. Sie hatte den Eindruck, dass der Gestank der Fledermäuse noch immer in ihren Riechzellen festhing.
    »Ich würde jetzt aber noch gern Ihre Theorie zu den Fledermausbissen hören«, sagte sie dann.
    Professor Rosenthal runzelte die Stirn. »Wirklich erklären kann ich mir das nicht. Sehen Sie, bislang ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem eine Fledermaus in Deutschland einen Menschen angegriffen hätte. Allerdings gab es irgendwann in den Neunzehnhundertneunzigern mal einen Fall einer Tollwutübertragung von einem Fledertier auf einen Menschen.«
    Hanna beugte sich gespannt vor.
    Der Professor winkte ab. »Aber der war ganz anders gelagert. Damals hatte eine Frau eine sterbende Fledermaus gefunden, die an Tollwut erkrankt war. In der Annahme, das Tier hätte sich verletzt, hat sie es aufgehoben – und da hat es natürlich zugebissen. Da die Dame aber anschließend gleich eine Tollwutimmunisierung bekommen hat, ist nichts Dramatisches geschehen. Aber dass ein krankes Tier jemanden anpeilt und dann, zack, in den Hals beißt – nein, das ist völlig ausgeschlossen.«
    »Und doch haben wir zwei tote Tollwutinfizierte mit Fledermausbissen am Hals …«
    Er sah sie ernst an: »Wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen: Da steckt ein Mensch dahinter.«
    »Dann bestätigt er also unsere Theorie«, sagte Theo zufrieden, als er sich zwei Stunden später Hannas Bericht anhörte.
    Sie nickte und zog ein Päckchen Zigaretten hervor, betrachtete es und steckte es wieder weg. Theo würde ohnehin gleich gehen, so lange konnte die Zigarette noch warten. »Langsam glaube ich wirklich, wir sind da einer mysteriösen Sache auf der Spur.«
    »Klar, und darum muss ich jetzt auch los.« Er warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und strich sein vom Duschen noch feuchtes Haar zurück. Wie immer nachdem er einen Toten für die Bestattung fertig gemacht hatte, sprang er unter die Dusche, so wie früher nach einer

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