In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Verschluss gehalten. Da kommt man nicht so einfach ran.«
»Ich weiß«, sagte Hanna. »Aber wo werden die gelagert, ich meine hier in Hamburg beispielsweise – immerhin wird doch daran geforscht, nehme ich an.«
»Nicht bei uns.« Sie warf Hanna einen durchdringenden Blick zu. »Hören Sie, Frau Winter, wenn ich nicht ganz genau wüsste, dass Sie keine Sensationsjournalistin sind, würde ich Ihnen jetzt kein Wort mehr sagen.«
Hanna nickte. Natürlich hatte die Frau gleich durchschaut, worauf Hanna hinauswollte. Tollwutfälle unterlagen der Meldepflicht und wurden beim RKI registriert.
»Tropeninstitut«, sagte die Pressesprecherin dann müde. »Ich bin ziemlich sicher, dass die ein paar Einheiten horten.«
Ein junger Mann hielt ihr das blaue Mikrofon des NDR unter die Nase. Der Präsident des RKI hatte sich bereits aus dem Raum gerettet, nun konzentrierte sich die Jagd nach O-Tönen auf die Pressesprecherin. Sie hob beschwichtigend die Hände.
Hanna zog sich zurück. Sie hatte ein etwas schlechtes Gewissen, die Frau aufgehalten zu haben, sodass sie nun die Meute ihrer Kollegen auf dem Hals hatte.
Sie schulterte ihre große Tasche. »Na dann: auf zum Tropeninstitut.« Aber vorher musste sie noch ihren Grippe-Artikel schreiben.
Der Schatten saß vor seinem großen Monitor. Ein leises Pling hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass Nathalie Stüven ihren Laptop gestartet hatte. Mit ein paar Mausklicks holte er sich ihren Kalender auf den Bildschirm. Der Tagesablauf der Senatorin war minutiös durchgetaktet. Das machte die Aufgabe, sie zu verfolgen, leichter. An sie heranzukommen würde aber schwieriger sein als bei den Männern.
Der Schatten ließ den Blick über den vollgestopften Terminkalender gleiten. Übermorgen war die Senatorin auf einer Premierenfeier in der Staatsoper. Zwischen den Pausen und im Anschluss an die Vorstellung würde großes Gedränge herrschen. Vielleicht war das die Chance, auf die er gewartet hatte.
Theo wühlte in seiner ledernen Umhängetasche nach den Adresslisten vom gestrigen Abend. Richtig, da stand auch Pias Mobilnummer.
»Pia Reese.«
»Moin, Pia. Und, alles gut überstanden?«
»Ja.« Sie lachte. »War doch super.«
»Insbesondere der Auftritt von Nathalie.«
Pia hustete heftig. Offenbar hatte sie sich verschluckt. »Ja, das war ziemlich einzigartig«, röchelte sie.
Theo ließ sie wieder zu Atem kommen. »Es waren ja leider nicht alle da.«
»Nö, ist doch normal.«
»Sanna Sörgel zum Beispiel.«
»Du, bei der war nichts zu machen. Ich hab in allen Netzwerken nach ihr gesucht und im Hamburger Telefonbuch ist sie auch nicht. Vermutlich verheiratet.«
»Und ihre Eltern?«
»Die sind auch weggezogen.«
»Schade. Und Benno?«
»Benno Konradi? Stimmt. Ich hab versucht, ihn zu überreden, aber er wollte einfach nicht. Hatte wohl keine Lust, unsere Nasen wiederzusehen, vor allem bestimmte von uns.« Sie hustete noch einmal. »Kann man ihm auch nicht verdenken.«
»Weißt du zufällig, was er inzwischen macht?«
»Der arbeitet in der Gärtnerei.«
»Die von seinem Vater?«
»Ganz genau.«
Die Gärtnerei Konradi war die größte in Wilhelmsburg. Die Familie besaß umfangreiche Gewächshäuser direkt hinterm Deich, in denen Allerlei herangezogen wurde – von der Geranie für den Balkonkasten bis zum Obstbaum. Außerdem vermieteten sie elegante Kübelpflanzen wie Buchsbaum oder Olivenbäumchen zu feierlichen Anlässen – Hochzeiten etwa, aber auch für Begräbnisse. Auch Theo hatte häufig auf dieses Angebot zurückgegriffen. Er wunderte sich, dass er Benno niemals dort angetroffen hatte. Aber vielleicht war er ganz einfach nicht der Typ für den Verkauf.
Er blickte aus dem Fenster seiner zum Wohnraum hin offenen Küche in den Garten. Einen Obstbaum könnte er sich eigentlich zulegen. Der Pflaumenbaum und die Quitte, deren Früchte seine Mutter vor vielen Jahren gepflückt und verarbeitet hatte, waren schon etwas altersschwach und gaben nicht mehr viel her. Ein Kirschbaum, dachte Theo. Rosa Blüten im Frühjahr, das wäre doch schön. In Japan feierten sie sogar ein Kirschblütenfest, mit Picknick im Blütenschnee. Wie hieß das noch gleich?
Hanami, hörte er Nadeshda sagen.
Er warf einen Blick über seine Schulter, aber da war niemand.
Theo sah auf seine Uhr. Er musste erst um 14 Uhr im Krematorium in Stade sein, wo die alte Frau Menck verbrannt werden sollte. Anders als die anderen großen Krematorien in Hamburg war man dort darauf ausgerichtet, dass
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