In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
die Angehörigen ihre verstorbenen Lieben auch auf diesem Weg begleiten konnten. Theo fand das wichtig. Sonst klaffte zwischen der Trauerfeier und der Aushändigung der Urne ein schwarzes Loch. Zu realisieren, dass der Mensch, dem man nahegestanden hatte, tatsächlich in einem Blechbehälter steckte, war für das menschliche Gemüt schwer nachvollziehbar und erschwerte die Trauerarbeit.
Lola Mencks Freundinnen, die auch das Begräbnis ausrichteten, wollten an der Verbrennung teilnehmen. Doch bis es so weit war, hatte Theo noch genügend Zeit.
Die Gärtnerei Konradi lag nicht weit entfernt und das Wetter war schön, sodass Theo den Citroën stehen ließ und sich sein Rennrad schnappte. Er brauchte keine Viertelstunde von Tür zu Tür.
Bei dem schönen Wetter hatten die Leute sichtbar Lust auf Gartenarbeit – es herrschte Hochbetrieb.
Er musste ein paar Minuten warten, bis ihn eine Frau mittleren Alters zu sich winkte. Sie trug eine grüne Schürze und violette Gummiclogs an den Füßen. Im Krankenhaus war auch fast jeder mit den Dingern herumgeschlappt. Nur Theo hatte sich verweigert. Er fand, dass sie wie Schuhe für Gartenzwerge aussahen. Na, hierher passen die Dinger wenigstens, dachte er.
»Herr Matthies«, sagte die Frau herzlich.
Theo wurmte es, dass ihm ihr Name nicht einfiel. Sie hatte ihn schon häufig beraten, wenn es darum ging, eine Beerdigung auszustatten. Er schielte unauffällig auf ihr Namensschild. »Brigitte Hansen«, stand da.
»Heute bin ich mal in privater Mission unterwegs. Ich würde mir gern einen Kirschbaum zulegen.«
»Was für eine schöne Idee.« Frau Hansen strahlte. Sie war eine begeisterungsfähige Person. »Sauer- oder Süßkirsche?«
»Süße«, sagte Theo.
Frau Hansen nickte wissend. »Kommen Sie, ich zeig Ihnen ein paar Bäumchen.«
»Ach, wissen Sie, Benno, der arbeitet doch hier?«
»Benno?« Sie zögerte. »Sicher. Der steckt irgendwo in den Gewächshäusern.«
»Wir sind früher zusammen zur Schule gegangen.«
»Ach so.« Sie warf einen Blick auf den Plan. »Heute ist er für die Rosen eingetragen. Das ist das zweite Gewächshaus von links.« Sie zögerte wieder. »Wenn Sie zusammen zur Schule gegangen sind, wissen Sie ja wie er ist, unser Benno. Nicht gerade gesprächig, meine ich.«
Theo lachte. »Ich weiß. Damit komme ich schon klar.«
»Aber er kennt sich wirklich aus mit den Pflanzen«, rief Frau Hansen ihm hinterher, wie um ihre wenig schmeichelhafte Bemerkung über den Sohn ihres Chefs wieder auszubügeln.
Das Gewächshaus war wohl an die dreißig Meter lang. In langen Reihen standen die Rosen Spalier, langstielig, weiß, rosa und rot und reckten sie ihre Köpfe dem Licht entgegen. Es war schwül, aber weniger warm, als Theo angenommen hatte. Die Luft roch nach Humus und frischem Grün. Irgendetwas fehlte. Rosenduft, dachte Theo. Die besonders prächtigen Züchtungen hatten ihren Duft zugunsten ihrer Schönheit eingebüßt. Ein Mann, der zwischen den Blumenreihen gehockt hatte, erhob sich und wandte sich zu Theo um. Er hatte sich seit der Schulzeit nicht sehr verändert: Noch immer wirkte er mit seinen schmalen Schultern und den dünnen Beinen wie ein großes Kind.
»Zieh ddir die Schuhe aaus und nimm ddir ein Paar Stiefel«, sagte er. Auch das Stottern war nicht verschwunden.
Theo sah sich um und bemerkte eine ganze Batterie von Gummistiefeln unterschiedlichen Zustands, die neben der Tür aufgereiht standen. Er suchte sich ein Paar heraus, das ihm passend erschien, und schlüpfte hinein.
»Wir kökönnen es nicht brauchen, wenn jejemand Uunkrautsamen oder Ungeziefereier hier einschleppt«, sagte der Gärtner. Er zeigte keinerlei Zeichen des Wiedererkennens.
»Hallo, Benno.« Nervös fuhr Theo sich mit der Hand durchs Haar. »Ich bin’s, Theo, du weißt schon, der aus der Schule.«
Benno nickte, sagte aber noch immer nichts. Aus der Nähe sah Theo, dass sich die weißen Flecken in seinem Gesicht weiter ausgebreitet hatten und nun eine fast einheitliche weiße Fläche bildeten. Unter dem kurz geschorenen dunklen Haar wirkte das Gesicht unnatürlich blass.
»Eure Frau Hansen schickt mich.« Theo wurde immer unbehaglicher zumute. »Ich brauche nämlich einen Kirschbaum.«
Benno grunzte.
»Wenn es dir gerade passt«, sagte Theo lahm.
Der Gärtner setzte sich in Richtung Ausgang in Bewegung. Theo nahm an, dass das Ja bedeutete.
Fünf Minuten später standen sie unter freiem Himmel in einer kleinen Baumschule. Erst hier wurde Benno mitteilsamer.
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