In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

dachte Hadice, die spinnen doch alle.
    »PETRA war ursprünglich ein Teilchenbeschleuniger. Inzwischen geht es hier aber um etwas anderes.« Sie schaute bedeutungsvoll zu Henry. Hadice war offenbar abgemeldet. »Hier stellen wir das reinste Röntgenlicht der Welt her.«
    »Phantastisch«, sagte Henry.
    Sylvia nickte zufrieden. »Es ist so präzise, dass sich damit sogar noch die kleinsten Atomstrukturen gewissermaßen fotografieren lassen.«
    »Super«, mischte sich Hadice ein. »Aber können wir vielleicht zusehen, dass wir in die Pötte kommen.«
    Sylvia zuckte mit den Schultern. Banausin, schien die Geste zu sagen.
    Das Büro von Dr. Sylvia Kuhn war klein und spartanisch.
    »Ziemlich wenig Bücher für eine Wissenschaftlerin«, kommentierte Hadice die leeren Wände.
    Sylvia lächelte nachsichtig. »Papier ist doch heutzutage völlig überflüssig. Alles, was ich brauche, befindet sich hier drin.« Sie deutete auf den Rechner mit dem übergroßen Bildschirm. »Und hier natürlich«, ergänzte sie und wies auf ihre Stirn.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ Hadice sich auf einem Besuchersessel nieder. Henry lehnte sich an die Wand.
    »Als Erstes möchten wir dich bitten, nichts von unserem Gespräch nach außen dringen zu lassen.«
    »Das klingt ja richtig spannend.« Sylvia kräuselte amüsiert die schmalen Lippen.
    »Du erinnerst dich an Nathalie Stüven?«
    »Aber sicher. Ich hatte unlängst das zweifelhafte Vergnügen, sie auf diesem Abiturtreffen wiederzusehen – wobei die Begegnung dann amüsanter ausfiel als erwartet.«
    »Du meinst die Cola, die Jonas ihr ins Gesicht gespuckt hat.«
    »Ich sehe schon, du hast überall deine Spitzel.«
    Hadice beugte sich vor und starrte sie an. »Um es kurz zu machen: Nathalie Stüven ist verschwunden. Und wir haben Grund zu der Annahme, dass ihr Verschwinden in Zusammenhang mit zwei Todesfällen der letzten Wochen steht.«
    »Wie das?«
    »Sebastian Klasen und Reinhold Lehmann sind beide an einer Tollwutinfektion gestorben. Und zumindest Sebastian war gute zehn Tage verschwunden, bevor man ihn gefunden hat.«
    »Nathalies Schergen. Verschwunden. Wie Nathalie.« Sylvia presste die Fingerspitzen beider Hände zu einer zeltartigen Konstruktion zusammen.
    »Ganz genau.«
    »Und da komme natürlich ich ins Spiel.«
    »Und da kommst du ins Spiel.«
    Sylvia lachte auf und schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein. »Ihr auch?«
    »Nein danke«, sagte Hadice.
    »Ja bitte«, sagte Henry und kassierte einen zornigen Blick der Kollegin.
    »Und jetzt überprüft ihr also alle, denen das Trio damals übel mitgespielt hat«, sagte Sylvia, während sie das Wasser in ein Glas plätschern ließ.
    »Danke.« Henry, trat zu ihr und ergriff es. Hadice registrierte, dass sich seine und Sylvias Fingerspitzen dabei leicht berührten. Er leerte das Glas in einem Zug.
    Sylvia nickte versonnen. »Das wundert mich nicht, das wundert mich ganz und gar nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    Sylvia fixierte ihre ehemalige Schulkollegin mit einem Blick, der zu sagen schien, ›Wie um alles in der Welt soll ich jemandem wie DIR so einen höchst komplexen Umstand begreiflich machen?‹. Sie schloss kurz die Augen und sagte dann an Henry gerichtet: »Im Universum gibt es eine Art ausgleichende – ich will jetzt nicht sagen, Gerechtigkeit, aber doch – Balance.«
    »Eine Art kosmisches Gleichgewicht des Schreckens?«
    Sylvia schüttelte den Kopf. Hadice konnte sehen, dass sich ihre Ohren röteten, die zwischen den glatten Haarsträhnen hervorlugten. Offenbar war Sylvia in ihrem Element.
    »Schon mal was von Antimaterie gehört?«
    »Ist das nicht Science-Fiction?« Hadice erinnerte sich dunkel, dass der Warp-Antrieb des Raumschiffs Enterprise mit Antimaterie betrieben wurde.
    »Mitnichten, meine Gute.« Sylvia schüttelte den Kopf. »Das antimaterielle Universum ist theoretisch ein genaues Spiegelbild unserer Welt. Antimaterielles Salz würde salzig schmecken, Antiwasser würde bei null Grad zu Eis erstarren und dein Antizwilling würde genauso aussehen und so sein wie du.« Sie blinzelte Henry zu. »Und jetzt kommt das wirklich Spannende.« Sylvia nahm noch einen Schluck Wasser. »Wenn ein Teilchen auf seinen Antizwilling trifft, gibt es einen grellen Blitz und beide sind verschwunden.«
    »Hokuspokus«, sagte Hadice, wider Willen fasziniert.
    »Und genau das tun unter anderem wir hier. Wir erschaffen Antimaterie und lassen sie auf ihre materiellen Zwillinge prallen. Peng.«
    »Und was hat das mit