In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
stillgelegt worden: Neben dem Beschleuniger im schweizerischen Cern mit seinem Umfang von dreiundzwanzig Kilometern nahmen sich seine Maße vergleichsweise bescheiden aus.
»Sie holt uns in der Cafeteria ab«, erklärte Henry und reichte Hadice den Plan.
»Am Kreisverkehr die Zweite rechts. Ah ja, da ist ein großer Parkplatz.«
Die Stellplätze waren gut belegt. Nachdem Henry den Wagen in elegantem Bogen in eine Parklücke gesteuert hatte, kletterte Hadice mühsam aus dem Wagen und sah sich um.
Die Gebäude waren schlicht und pragmatisch, die meisten stammten aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Ebenso alt war der Baumbestand auf dem Gelände. Es war sehr still, nur ein paar Insekten sirrten träge durch die heiße Luft. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ihr geschienter Fuß juckte unerträglich. Sie klemmte sich die Krücken unter die Arme und rückte ihre sportliche Umhängetasche zurecht, die so gar nicht mit dem eleganten Seidenkleid harmonierte.
»Na, dann wollen wir mal.« Henry verriegelte den Wagen mit einem Druck auf den automatischen Türschließer.
Das Gebäude, das Kantine und Cafeteria beherbergte, war offenbar vor nicht allzu langer Zeit modernisiert wurden. Die Fassade schmückten moderne, lamellenartig angeordnete Holzpaneele, davor erstreckte sich eine hölzerne Terrasse. Sie grenzte an einen Teich, der allerdings von derart hohem Schilf umsäumt war, dass man das Wasser nur an einigen Stellen sehen konnte. »Ich hol mal was zu trinken«, sagte Henry.
Hadice ließ sich auf einen der wenigen Plätze sinken, von denen aus man einen Blick auf den Teich erhaschen konnte. Mit einem schabenden Geräusch zog sie einen weiteren Metallstuhl heran und bettete ihren lädierten Fuß darauf. »Bitte nicht füttern«, stand auf einem Schild. Unter der grünlichen Wasseroberfläche zogen große Goldfische ihre Bahnen. Das Glitzern des Wassers wirkte hypnotisch. Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. Sie dachte an Nathalie, in deren Körper sich die Viren wahrscheinlich längst in rasendem Tempo vermehrten. Sie schauderte. Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht und sie öffnete die Augen.
»Hadice Öztürk«, sagte Sylvia. »So eine Überraschung.«
Trotz der Wärme trug sie einen Rollkragenpulli, wenn auch einen kurzärmeligen.
»Freut mich auch«, sagte Hadice und stellte fest, dass Sylvia sehr ungewöhnliche Augen hatte. Die Iris war sehr hell, sodass sie einen scharfen Kontrast zu den in der Sonne geschrumpften Pupillen bildete.
Sylvia lächelte, runzelte aber zugleich die Stirn. »Du kommst ein bisschen ungelegen.«
»Das ging ja fixer als erwartet.« Henry stellte zwei Flaschen Cola auf dem Tisch ab.
»Das ist mein Kollege, Kriminalkommissar Hendrik Sibelius.«
Sylvia wandte den Blick nicht von Hadice. »Könntest du zur Sache kommen.«
»Am besten, wir gehen in dein Büro.«
Sylvia seufzte und zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, es ist gerade sehr ungünstig.« Dann gab sie sich einen Ruck. »Also gut.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und schritt in einem Tempo voran, dass Hadice mit ihren Krücken Mühe hatte, zu folgen.
Henry hingegen hatte die Forscherin mit wenigen langen Schritten eingeholt. »Was sind das für Behälter?« Er deutete auf mehrere blau gestrichene Tanks.
»Oh, da drin ist Helium. Wir haben hier die größten Bestände in ganz Deutschland. Damit kühlen wir die Magnete, die die Teilchen beschleunigen, auf minus 271 Grad herunter.«
Henry nickte anerkennend. »Das ist quasi der absolute Nullpunkt.«
Sylvia warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Sieh an, ein Kommissar mit physikalischen Grundkenntnissen.«
»Minus 273,15 Grad Celsius«, sagte Henry wie ein gelehriger Schüler.
Sylvia lachte und warf die glatten Haare über die Schulter.
Was läuft denn hier?, dachte Hadice. Flirteten die beiden etwa?
Verbissen steigerte sie das Tempo und holte auf. »Und wozu braucht man solche Temperaturen?«, fragte sie, bemüht, nicht außer Atem zu klingen.
Sylvia warf ihr nur einen kurzen mitleidigen Blick zu. »Reibungswärme«, antworteten sie und Henry im Chor.
Hadice merkte, wie ihre gereizte Laune noch um einige Punkte tiefer in den Keller rutschte.
Sie kamen an einer riesigen Halle vorbei, auf der der Name PETRA 3 stand.
»DESY, HERA, PETRA – hat hier eigentlich alles einen weiblichen Namen?«, fragte Henry.
Sylvia lachte. »So ist es. Und das hier ist ein ganz besonderes Schätzchen.« Sie blickte verträumt. Wissenschaftler,
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