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In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Fux
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schon mittags getrennt, weil ich noch arbeiten musste. Aber wir hatten uns für halb acht am Hafen verabredet. Und er ist immer noch nicht da. Er hat sich auch nicht gemeldet.«
    »Da geht es dir wie mir.« Mays Stimme klang grimmig. »Um sechs hat er hier einen Kunden versetzt. Zum Glück war ich zufällig da und konnte einspringen.«
    Hanna überlegte. »Das sieht ihm eigentlich nicht ähnlich, oder?«
    »Nein. Das sieht ihm ganz und gar nicht ähnlich.«
    Hanna merkte, wie ihr leiser Zorn auf Theo einem beklommenen Gefühl wich. »Vielleicht sollten wir Hadice anrufen.«
    May zögerte. »Hast du ihre Nummer?«
    »Kann schon sein. Wenn nicht, krieg ich die schon raus.« Solche Recherchen gehörten zu den leichtesten Übungen einer Journalistin. Sie hörte, wie May am anderen Ende tief Luft holte.
    »Halt mich auf dem Laufenden«, sagte die junge Bestatterin leise. May war eine sehr zurückhaltende Person, aber Hanna wusste, dass sie und Theo sich sehr nahestanden. Vermutlich machte sie sich inzwischen ebensolche Sorgen um Theo wie sie. Nachdenklich beendete sie das Gespräch.
    Ein Schatten fiel auf ihren Schoß. Mareike hielt ihr ein Glas Wasser entgegen. »Bad news?«
    Hanna zuckte hilflos die Schultern. »Mein Date scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.«
    »Männer«, sagte Mareike.

KAPITEL 25
    Lars Hansen pfiff leise vor sich hin. Paul hatte sich platt auf den Boden gelegt und verfolgte das Tun seines Herrchens mit großen, feuchten Glotzaugen. Von Zeit zu Zeit nieste er heftig. Vermutlich kitzelte ihn der Geruch nach Lösungsmitteln in der platten Nase. Lars fuhr sich mit beiden Händen durch seinen blonden Schopf, trat einen Schritt zurück und begutachtete sein Werk. Der große Spiegel mit dem geschnitzten Holzrahmen hatte bräunliche Altersflecke. Er stammte aus dem Nachlass eines alten Herrn, in dessen Arbeitszimmer er eine umfangreiche Sammlung verblüffend drastischer Aktbilder aus der Frühzeit der Fotografie gefunden hatte. Er hatte sie sehr gewinnbringend an einen Händler für derartige Sammlerstücke verkauft und den Erben, zwei unverheirateten Schwestern des Verstorbenen, den vereinbarten Anteil ausgezahlt, ohne auf nähere Details einzugehen.
    Den ramponierten Spiegel hatte er in einem mintgrünen Ton gestrichen, wobei er einzelne Elemente der Verzierung durch einen ochsenblutfarbenen Anstrich hervorgehoben hatte. In der Mitte des Rahmens, oberhalb des Glases, hatte er einen alten Puppenkopf aus Porzellan eingelassen, der schon bei leisen Erschütterungen mit den Augen klimperte. Wie die meisten der eigenwilligen Objekte, die Lars aus altem Trödel herstellte, übte er einen eigentümlichen Reiz auf den Betrachter aus. Sie wirkten wie Boten aus einer phantastischen Parallelwelt.
    Die ehemalige Autowerkstatt in einem Hinterhof am Vogelhüttendeich, die Lars als Atelier diente, war von allerlei wundersamen Wesen bevölkert. Der Rumpf eines alten Schaukelpferds mündete nun in den barbusigen Oberkörper einer Schaufensterpuppe und wurde so zum weiblichen Zentaur. An der Decke hing ein glitzerndes Mobile aus silbernen Löffeln und Gabeln, die Lars kunstvoll verbogen hatte, sodass sie geradewegs aus einem Bild von Salvador Dali entsprungen zu sein schienen. Eine Lampe aus den Fünfzigerjahren trug ein anmutiges Kinderröckchen aus rotem Seidentaft als Schirm. Inzwischen verdiente er mit seinen Objekten weit mehr als mit seinem Job als Entrümplungsunternehmer, der ihm allerdings einen steten Quell von Materialien sicherstellte.
    »Sieht aus wie der Zauberspiegel aus ›Alice im Wunderland‹«, sagte Fatih anerkennend. Der junge Türke saß in einem dreibeinigen Ohrensessel, den ein paar untergeschobene Bücher vor dem Kippeln bewahrten. Leise auf seiner Gitarre klimpernd, hatte er die letzten zwei Stunden damit verbracht, an einem neuen Song zu feilen. Seine dunklen langen Haare fielen ihm dabei ins Gesicht. Die Augen hatte er dick mit Kajal umrandet und seine Kleidung war wie üblich exzentrisch: ein Rüschenhemd aus schwarzer Seide, eng anliegende schwarze Satinhosen und spitz zulaufende Stiefeletten – ebenfalls in Schwarz.
    Fatih war mit der alten Anna Florin befreundet gewesen, die im Winter ermordet worden war. Er hatte engagiert dazu beigetragen, den Täter zu finden. Seitdem war er immer öfter bei Lars in der Werkstatt aufgetaucht, wo sie, ohne viel zu reden, einträchtig nebeneinanderher arbeiteten.
    Lars drückte den Pinsel in einem Marmeladenglas voll Terpentin aus und wischte ihn

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