In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
anderen Frauen, wenn sie mit ihm unterwegs war, aber statt mit Stolz erfüllte es sie mit Zweifel. All die Bilder verflossener Jugendlieben, die sie aus seinem Schuhkarton gefischt hatte! Und die Tatsache, dass er in ihrer Abwesenheit eine Nacht mit einer Unbekannten verbracht hatte, schürte ihre Bedenken erst recht. Theo war ein Mann, den man auf Dauer nur schwer für sich allein haben konnte. So viel war klar. Und das verunsicherte sie zutiefst.
»Warte einen Moment«, sagte Sylvia. Sie legte Theo die schmale Hand auf den Oberarm. Die flüchtige Berührung hinterließ ein prickelndes Gefühl auf seiner Haut. Erstaunt beobachtete er, wie sie im Garten des Hauses verschwand. Es war ein schlichtes, weiß verputztes Einfamilienhaus. Der Garten mit seinen präzisen Blumenrabatten und den zurechtgestutzten Büschen wirkte fast steril. An der Tür hing ein getrockneter Blumenkranz, der vergeblich versuchte, dem Ganzen einen Anstrich von Landhausstil zu verleihen.
Theo lehnte sich an den Pfosten des Gartentors und schloss die Augen. Die Wolken hatten sich wieder verzogen und die Sonne wärmte sein Gesicht. Die Wärme machte ihn schläfrig und er spürte, wie sich eine angenehme Trägheit in ihm ausbreitete. Er hatte Sylvias Einladung ohne zu zögern angenommen. »Es ist nicht weit«, hatte sie gesagt und erklärt, sich gerade um das Haus ihrer ehemaligen Tagesmutter zu kümmern, die, soweit er verstanden hatte, für längere Zeit verreist war.
Zu seiner Überraschung öffnete sich die Haustür von innen. Sylvia war offenbar durch einen Hintereingang hineingelangt. Sie winkte ihn zu sich. In der Dunkelheit des Hauses konnte er sie nur schemenhaft erkennen. Als er auf der Türschwelle angekommen war, ergriff sie seine Hand und zog ihn herein. Rasch schloss sie die Tür hinter ihm. Im Flur herrschte Dämmerlicht. »Wir müssen doch aufpassen, dass uns niemand sieht«, wisperte sie.
»Hat man dir verboten, Herrenbesuch zu empfangen?«, fragte er amüsiert.
Sie beachtete seinen Einwand nicht und schob die Gardine des Fensters, das in der Haustür eingelassen war, einen Spalt zur Seite. Konzentriert blickte sie hindurch. Dann drehte sie sich zu ihm um und lächelte ihn an. »Alles in Ordnung.«
Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn in ein Wohnzimmer, dessen Jalousien heruntergelassen waren. Zweifellos benahm sie sich entschieden merkwürdig. Theo fühlte sich, als sei er in einen Film gestolpert, dessen Handlung er nicht kannte. Er stellte fest, dass ihm das surreale Gefühl gefiel.
»Warum sind die Fenster zu? Ich dachte, du hütest hier ein.«
Sylvia lächelte. »Das muss ja nicht jeder wissen, das verstehst du doch, Theo.«
Er verstand rein gar nichts, beobachtete aber fasziniert, wie sie langsam ihren Trenchcoat aufknöpfte. Darunter trug sie ein eng anliegendes schwarzes Kleid aus einem glänzenden Stoff. Theo schluckte. Er hatte nie wahrgenommen, was für eine erstklassige Figur die unscheinbare Sylvia hatte. Wobei von unscheinbar an diesem Nachmittag keine Rede sein konnte.
Sylvia ging hinüber zu einer altmodischen Schrankwand aus schwerer Eiche und öffnete eines der Fächer. Darin befand sich eine verspiegelte Hausbar, deren Beleuchtung beim Öffnen automatisch ansprang. Sie betrachtete den Inhalt mit gerunzelter Stirn und wählte dann eine Flasche Whisky, die teuer aussah. Fragend hielt sie ihm das Etikett entgegen. Er nickte leicht. Whisky trank er so gut wie nie, aber heute passte er. Der Film noir ging offenbar weiter. Sie nahm zwei Gläser, schraubte die Flasche auf und schenkte ein. Der Alkohol funkelte wie flüssiges Gold.
Sie ging zu ihm hinüber, reichte ihm ein Glas und setzte sich neben ihn auf die wuchtige Couch, die mit kratzigem, olivgrünem Plüsch bezogen war. Lässig streifte sie die Pumps ab und zog die nackten Beine unter sich. Dann prostete sie ihm zu. »Cheers«, sagte sie.
Sie tranken. Der Whisky schmeckte weich und angenehm rauchig. In seinem Magen machte sich Wärme breit. Sylvia stellte ihr Glas auf dem Tischchen vor der Couch ab. Ihr Lippenstift hatte einen roten Stempel darauf hinterlassen.
»Ich bin froh, dass du endlich gekommen bist. Du hättest mich nicht so lange warten lassen sollen.«
Theo starrte sie verwirrt an. Wovon zum Teufel sprach sie?
»Ich wusste natürlich schon immer, dass du zu uns gehörst«, fuhr Sylvia fort und legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel.
»Wen meinst du mit ›uns‹?«
»Du brauchst nicht so zu tun, als wüsstest du nicht Bescheid.
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