In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
sympathisch, aber ich kann mich einfach nur vage daran erinnern, wie sie ausgesehen hat.«
»Könnte es Sylvia gewesen sein?«
»Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.« Sie zog die Brauen zusammen, sodass sich zwei senkrechte Falten auf ihrer sonst so makellosen Stirn bildeten. »Andererseits, mit einer Perücke und Schminke? Sie hat ja kein besonders markantes Gesicht. Das lässt sich vielleicht ganz gut verändern.«
»Könnte es Benno gewesen sein?«
»Benno? Du machst Witze.«
»Keineswegs. Er tritt als Travestiekünstler auf. Und glaub mir, du würdest ihn nicht wiedererkennen.«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Wer immer es auch war, er muss mich so gegen Mitternacht ausgeknockt haben.«
»Wir können wohl davon ausgehen, dass sie dir K.-o.-Tropfen verabreicht hat. Und dann hat sie dich vermutlich erst mal nach Hause geschafft, bevor … bevor sie dich infiziert hat.«
»Also sagen wir: vielleicht 2 Uhr morgens.«
»Heute ist Sonnabend – und wenn deine Schätzung stimmt, dann müsste es jetzt irgendwas zwischen 9 und 10 Uhr abends sein.«
»Sonnabend erst«, sagte Nathalie leise. »Ich hatte gedacht, ich wäre schon eine Ewigkeit hier.« Sie zog die Knie an und umschlang sie mit den Armen. Dann blickte sie Theo in die Augen. »Wie lange habe ich noch, was denkst du?«
Zum ersten Mal hörte Theo ein leises Beben in ihrer Stimme.
»Na ja, so ganz genau lässt sich das nicht sagen.«
»Theo!«
»Wo ist die Bisswunde?«
Kommentarlos entblößte sie ihren Hals.
»Es ist noch keine achtundvierzig Stunden her. Wenn wir Glück haben, sind es vielleicht noch vierundzwanzig Stunden. Vielleicht auch ein bisschen mehr. Wie gesagt, da spielen so viele Faktoren eine Rolle und die Datenlage ist ziemlich dünn …«
Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Und wenn ich kein Glück habe?«
Dann ist es vielleicht schon zu spät, dachte er. »Ich weiß es nicht.«
Nathalie ließ die Stirn auf die Knie sinken. Theo legte ihr vorsichtig eine Hand auf den Rücken. So saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander.
Irgendwann hob sie den Kopf. »Was ist eigentlich mit dir?«
»Was meinst du?«
»Hat sie dich auch – infiziert?«
Er erstarrte. »Aber ich hab doch gar nichts getan!«
Sie musterte ihn schweigend. »Eben«, sagte sie dann.
Während er sie noch anstarrte, schlug plötzlich die Tür ihres Verlieses auf. Sie fuhren beide zusammen. Eine schmale hochgewachsene Gestalt zeichnete sich in der Öffnung ab. In der einen Hand hielt sie eine Pistole. In der anderen blitzte eine Spritze.
KAPITEL 26
Der letzte Anruf war um 16.42 Uhr bei Theo von einer mobilen Nummer aus eingegangen. Er war auf eine Franziska Richter zugelassen.
»Der Name sagt mir irgendwas.« Hadice fixierte die Buchstaben, als wollte sie sie zwingen, ihr Geheimnis preiszugeben.
»Ruf doch einfach an. Vielleicht bringt uns das weiter.«
Wortlos schnappte sich Hadice ihr Smartphone und tippte die Nummer ein.
Es klingelte drei, vier, fünf Mal.
»Hallo«, quäkte ihr eine Kinderstimme entgegen.
»Hallo, wer ist denn da?«
»Carlito Richter.«
»Carlito.« Hadice zwang sich zu einem zuckersüßen Säuseln. »Ist denn deine Mama auch da?«
»Ja.« Carlito atmete laut in das Mikrofon.
»Und kann ich die mal sprechen?«
»Nee.«
»Es ist aber sehr wichtig.« Hadice beschloss einmal mehr, niemals Kinder zu bekommen.
»Geht nicht, die schläft.« Dann war die Leitung unterbrochen.
»Verdammter Bengel.« Sie versuchte es erneut, doch es sprang nur die Mailbox an. Offenbar hatte der Knirps das Mobiltelefon jetzt auch noch komplett ausgeschaltet. Zähneknirschend hinterließ sie eine Nachricht mit der dringenden Bitte um Rückruf.
»Reg dich nicht auf.« Henry hatte sich bereits ins Melderegister eingeloggt und suchte nun nach der Adresse der Handybesitzerin. Mit einem Mausklick sendete er die Daten an den Drucker. »Wir fahren jetzt einfach rüber.«
Er griff sich die Adresse aus dem Drucker und lief hinüber in Grasmanns Büro. Der Einsatzleiter stand mit dem Rücken zur Tür und sah aus dem Fenster in den Hof, wo die Schatten der geparkten Streifenwagen immer länger wurden. Er wandte sich um und zog eine Augenbraue hoch. »Und? Was habt ihr für mich?«, fragte er, als auch Hadice hinkend auftauchte.
Henry berichtete, während Hadice hibbelig ihre Krücken in den Teppich bohrte. Sie hätte die Wände hochgehen können.
»Und die Auswertung der letzten Ortung?«, wollte Grasmann wissen.
»Auf die warten wir
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