In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
Dies ist ein sicheres Haus. Ich habe es eigenhändig abgeschirmt.« Sie nickte zur Decke.
Theo blickte hinauf und bemerkte erst jetzt, dass dort ein kompliziertes Geflecht aus silberfarbenen Drähten aufgespannt war. Es sah aus wie ein riesiges Spinnennetz. Das ist ja total verrückt, dachte er, als er Sylvias Lippen auf seinem Mund spürte.
Um Punkt halb acht fuhr Hanna mit Schwung auf den Parkplatz vor der Strandbar. Sie zog noch einmal den Lippenstift nach und stieg dann aus ihrem Mini.
Die Bar war dem lauen Wochenendabend entsprechend gut besucht. Hanna ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen. Eine Gruppe junger Frauen wiegte sich, die bloßen Füße im Sand vergraben, lachend zur Loungemusik. Sie wurden von zwei jungen Männern beobachtet, die lässig an einer Bar lehnten, die mitten auf dem Strand aus zusammengeschweißten Metallteilen errichtet war. Auf ihrem Dach trug sie eine kleine Aussichtsplattform, die an die Kommandobrücke eines Schiffes erinnerte. Ein Pärchen saß eng umschlungen auf einem Bett aus rostigem Eisen, das mit wasserabweisenden Kissen bestückt war. Ein kleiner Junge pflügte selbstversunken mit einer Miniaturplanierraupe durch den Sand. Theo war offenbar noch nicht da. Hanna ging zu einer weiteren Bar hinüber, die in einer lang gesteckten, zum Wasser hin offenen Hütte untergebracht war. Das Dach bestand aus etwas, das Hanna für getrocknete Palmwedel hielt. Der junge Mann mit den Rastazöpfen hinter dem Tresen verlieh dem Ganzen einen Hauch von Karibik.
Hanna bestellte sich ein Glas Weißwein. Sie streifte die Sandalen ab, packte sie an den Riemchen und schlenderte an bunten Liegestühlen und wetterfesten Loungesofas vorbei bis ans Geländer, das den Strand vom Elbufer abgrenzte. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Schon Viertel vor acht. Die Sonne senkte sich langsam und tauchte alles in goldenes Licht. Am gegenüberliegenden Ufer der Elbe lag ein großes Containerschiff im Dock. Kräne reckten ihre Hälse in den Abendhimmel. Unter ihr tuckerte eine Barkasse vorbei. Sie nahm einen Schluck Weißwein. Das ist meine Stadt, dachte Hanna und musste ob ihres Anflugs von Sentimentalität grinsen.
»Einmalig, oder?«, sprach eine Stimme ihre Gedanken aus.
Die Frau, die neben ihr mit dem Rücken zum Wasser am Geländer lehnte, lächelte einnehmend. Das enge, schwarze Top über der Cargohose ließ einen flachen Bauch mit gepierctem Nabel sehen. Ihr dreieckiges Gesicht mit den großen Augen wurde von einem verwuschelten, weiß blondierten Pagenschnitt umrahmt. In der Hand hielt sie eine gedrungene Bierflasche der Marke Astra. Sie erinnerte Hanna an die junge Debby Harry von der Popband Blondie.
»Tatsächlich, ganz einmalig.« Hanna lächelte zurück. Die Frau hob die Bierflasche und prostete Hanna zu. Dabei blickte sie ihr tief in die Augen. Oha, dachte Hanna und hob ein wenig verlegen ihr Weinglas. »Cheers.« Die Frau zwinkerte ihr zu. Sie hatte dunkle Augen unter kräftigen, schön geschwungenen Brauen. Hanna bemerkte, dass ihre Mundwinkel auch nach oben wiesen, wenn sie nicht lächelte.
»Mareike«, sagte die Frau.
»Hanna«, sagte Hanna.
»Wartest du auf jemand?«
Hanna zuckte die Achseln. »Scheint sich wohl zu verspäten.«
»Vielleicht kann ich dir ja so lange Gesellschaft leisten.«
Warum nicht, dachte Hanna und sagte: »Sehr gerne.«
Sie zogen sich zwei freie Beachstühle heran, sodass sie ihre Füße auf dem Geländer ablegen konnten.
Mareike nahm einen letzten tiefen Schluck aus ihrer Flasche und nickte Hanna auffordernd zu. »Auch noch eins?« Sie deutete auf Hannas halb leeres Weinglas.
»Danke. Aber ein Wasser wäre toll.«
»Geht klar.« Mareike sah sie an. »Lauf nicht weg, ich bin gleich wieder da.«
Heideidei, dachte Hanna amüsiert. Die Frau schien zu wissen, was sie wollte. Sie fischte ihr Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Theo hatte nicht versucht, sie zu erreichen. Als das Mobiltelefon in ihrer Hand plötzlich die Titelmelodie der Serie »Mit Schirm, Charme und Melone« von sich gab, hätte sie es fast in den Sand fallen lassen. Theo, leuchtete der Name auf dem Display.
»Da ist ja die personifizierte Pünktlichkeit. Ich hoffe, du hast einen dramatischen Grund parat.«
Der Anrufer schwieg.
»Hanna, ich bin’s, May«, sagte May auf der anderen Seite der Elbe. Erst da wurde Hanna klar, dass der Anruf vom Festnetzanschluss des Bestattungsinstituts kam.
»Ist Theo bei dir?«
»Nein.« Hanna runzelte die Stirn. »Wir haben uns
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