In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
›theo‹ und ›nadeshda‹ in Kleinschreibweise. Wieder Fehlanzeige. Er tippte ›theomatthies‹ und dann ›nadeshdamatthies‹. Endlich öffnete sich die Startseite.
Hanna spürte, wie sich ihr Herz kurz zusammenzog. Lächerlich, schalt sie sich. Sie selbst hatte noch Jahre nach der Scheidung ›freiburg1999‹ als Passwort benutzt – Ort und Jahreszahl, an dem sie ihren Exmann kennengelernt hatte. Quer durch den Raum blickte Lars sie wissend an. Sie wurde rot.
»Ich brauche jetzt alle Fakten zu dieser Sanna, die ihr habt«, sagte Fatih.
Leider waren diese dünn gesät.
»Die Familie ist nach dem Vorfall ausgewandert, hat Hadice erzählt«, sagte Hanna.
»Wisst ihr, wohin?«
»Hadice erwähnte Kanada, glaube ich.«
»Und wie heißt sie mit Nachnamen?«
Hanna überlegte. Sie war sich sicher, dass Theo den Namen genannt hatte. Aber er wollte ihr einfach nicht mehr einfallen. Die meiste Zeit hatte er einfach von Sanna gesprochen.
»Rufen wir doch einfach Benno an«, sagte Lars.
Hanna ließ sich von der Fensterbank gleiten. Sie ging zu ihrer Tasche, die noch am Küchenstuhl baumelte, zog ihr Handy hervor und sah die Anruferliste durch. »Mist, er hat die Rufnummernunterdrückung aktiviert. Wir könnten vielleicht Hadice fragen«, sagte sie zögerlich, »Aber die hat jetzt sicher ganz anderes um die Ohren.«
Sie setzte sich an den Küchentisch und sah noch einmal systematisch das Sammelsurium in Theos Erinnerungsschachtel durch. Sie zog ein Klassenfoto hervor, auf dem sie auch Sanna entdeckte. Sie drehte es um. »Juni 1992« stand darauf. Und dann die Namen der Mitschüler. Inklusive der Nachnamen. Sie ließ das Foto auf den Schoß sinken.
»Sörgel«, verkündete sie. »Sie heißt Sanna Sörgel.«
Fatih gab den Namen in eine spezielle Suchmaschine ein, die zum Auffinden von Personen entwickelt worden war. »Nichts. Für Sanna Sörgel hab ich keinen einzigen Treffer. Das ist ein Ding.« Für ihn war es unvorstellbar, wie man in Zeiten des Internets so unsichtbar bleiben konnte.
»Stimmt.« Hanna massierte sich die Schläfen, hinter denen sich ein zunehmender Druck bemerkbar machte. »Ich glaube, Theo hat das auch schon probiert.«
»Was ist mit den Eltern?«, fragte Fatih.
»Ich hab keine Ahnung, wie die heißen, du vielleicht?« Hanna blickte zu Lars.
»Nein. Wirklich nicht. Aber vielleicht können wir einen von den Schulkollegen anrufen, die Sanna noch gekannt haben.« Lars kratzte sich am Kopf und verzog das Gesicht. »Irgendwo muss Theo diese Liste haben, die vom Klassentreffen, meine ich.«
»Die hängt am Kühlschrank«, ließ Lilly sich vernehmen. Sie hatte die ganze Zeit über keinen Mucks von sich gegeben in der Hoffnung, man möge sie vergessen und nicht doch noch ins Bett schicken.
Lars pflückte die Zettel ab, die mit einem sargförmigen Magneten an der Tür befestigt waren. Dann wählte er Pias Nummer.
»Hallo?« Pia klang putzmunter.
»Ich bin’s, Lars.«
»Großer Gott, hast du einen Schimmer, wie spät es ist?«
»Tut mir leid, aber es ist wichtig.«
Pia knurrte.
»Was weißt du über die Eltern von Sanna Sörgel?«
»Du meine Güte. Warum um alles in der Welt willst du das um die Uhrzeit wissen?«
»Lange Geschichte. Aber es ist wichtig, wirklich.«
»Na gut, lass mich überlegen.« Er hörte ein Schnappen, dann ein knisterndes Geräusch und einen scharfen Atemzug. Er schloss daraus, dass sie sich eine Zigarette angezündet hatte.
»Ich weiß noch, dass ihr Vater Arzt war. Orthopäde. Ich war sogar mal bei ihm wegen meiner Skoliose. Man hat immer ewig warten müssen.«
»Weißt du noch, wie er hieß – mit Vornamen, meine ich?«
Pia schwieg. In der Stille hörte er, wie sie erneut an ihrer Zigarette zog. »Bernhard? Gerhard? Leonhard? Irgendwas mit ›hard‹ am Ende, glaube ich. Aber mehr weiß ich wirklich nicht. Nur, dass er ziemlich gut aussah mit seinen dunklen Locken.«
»Okay, danke dir. Und wenn dir noch was einfällt, ruf mich unbedingt an – egal, wie spät es ist.«
»Ich nehme dich beim Wort, Schätzchen.«
Er gab Pia seine Mobilnummer und beendete das Gespräch.
Grübelnd betrachtete er die Liste in seiner Hand. Wer könnte noch etwas wissen?
»Fragen wir doch Fräulein Huber«, sagte May in die Stille. »Die kennt Gott und die Welt und hat ein Gedächtnis wie ein Elefant.«
Wie in jedem Jahr hatte Fräulein Huber sich auch dieses Mal wieder im Juni in die Sommerfrische aufgemacht, wie sie es nannte. Dann fuhr sie mit der Bahn die achthundert
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