In stiller Wut: Kriminalroman (German Edition)
es noch einmal und ging einen Schritt auf Sylvia zu.
Im Keller musste Henry hilflos mit ansehen, wie Sylvia den schwarzen Gegenstand in ihrer Hand hob und dieser einen leuchtenden Bogen zu Hadice schlug, die daraufhin erst auf die Knie sank und dann zu Boden.
Sie lag ganz still. Nur ihre Hände und Füße zitterten leicht.
»Willkommen im machtvollen Reich der Elektronen«, sagte Sylvia.
Hinter Hadices geschlossenen Augen flimmerte es. Verdammt, dachte sie, das war ein Stromschlag der Extraklasse. Nachdem der erste, überwältigende Schock abgeebbt war, spürte sie nur noch eine brennende Stelle an der Schulter, wo der Schlag sie getroffen hatte. Sie wusste, dass solche Elektroschocker ungefährlich waren, sofern man nicht gerade einen Herzschrittmacher besaß. Es fühlte sich allerdings überhaupt nicht ungefährlich an. Sämtliche Muskeln versagten ihr den Dienst. Sie lag hilflos da wie eine gestrandete Qualle – als besäße sie weder Knochen noch Muskeln.
»Tut mir leid, aber es ging nicht anders, das wirst du sicher einsehen«, hörte sie Sylvias Stimme.
Nur mühsam gelang es Hadices aufgescheuchten Nervenzellen, die Befehle des Gehirns wenigstens so weit weiterzuleiten, dass sie die Lider heben konnte. Sylvia stand vor ihr und betrachtete sie forschend.
»Na also«, sagte sie, als sie Hadices Blick bemerkte.
Auf der Straße vor dem Haus hielt ein Streifenwagen. Michael Düsterwald und sein Kollege Ole Rasmus waren der Bitte um Verstärkung als Erste gefolgt. Düsterwald schaltete das Licht aus und stellte den Motor ab. Sie stiegen aus dem Wagen und sahen sich wachsam um.
»Alles ruhig«, bemerkte Rasmus.
»Aber die Haustür ist auf.«
Sie warfen sich einen kurzen Blick zu. »Gehen wir rein«, sagte Düsterwald.
Sie schlichen durch den Vorgarten und betraten dann das Haus.
Hadices Augen richteten sich auf die Tür. Auch Sylvia hatte etwas gehört – leichte Schritte, die auf dem Kies knirschten, und dann die Haustür, die etwas über den Teppich in der Diele schleifte. Sie legte warnend den Finger auf die Lippen und verzog sich dann rechts neben die Tür zum Flur.
Wie er es in der Ausbildung gelernt hatte, glitt Düsterwald rasch durch die Tür und stellte sich unmittelbar daneben mit dem Rücken zur Wand. Dann sicherte er den Raum, bereit, jederzeit abzudrücken. Ole folgte ihm. Düsterwald schwitzte stark. Die Pistole in seinen Händen fühlte sich glitschig an. Noch nie hatte er auf einen Menschen schießen müssen. Das war etwas anderes als die regelmäßigen Schießübungen, die er absolvieren musste. Im Haus herrschte noch immer Totenstille. Der Schweiß rann ihm inzwischen sein Rückgrat hinunter. Er blieb abrupt stehen, sodass Rasmus fast gegen ihn geprallt wäre. Durch eine geöffnete Tür konnten sie eine junge Frau am Boden liegen sehen. War sie verletzt? Düsterwald konnte kein Blut erkennen.
Hadice bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Es gelang ihr, den Kopf zu drehen. Ein Polizist in Uniform ging, die Waffe im Anschlag, geradewegs auf sie zu. In wenigen Schritten würde er in Reichweite von Sylvias Elektroschocker sein. Sie stöhnte. Nicht!, wollte sie rufen. Doch sie brachte nur ein unartikuliertes Grunzen hervor.
Im Keller verfolgte Henry das Geschehen gebannt am Monitor. Die Überwachungskamera für das Wohnzimmer war so eingestellt, dass er sowohl die am Boden liegende Hadice als auch die neben der Tür lauernde Sylvia im Blick hatte. Was hatte sie nur vor? Er bemerkte, dass Hadice ruckartig den Kopf hob und heftig schüttelte. Ihre Arme bewegten sich unkontrolliert. Dich hat es ganz schön erwischt, mein Mädchen, dachte er besorgt. Da nahm er eine weitere Bewegung wahr. Im Flur hinter dem Wohnzimmer brannte zwar kein Licht, weswegen er nichts Genaues erkennen konnte, doch da war zweifellos noch jemand. Die Kollegen, dachte er. Endlich! Zähneknirschend musste er mit ansehen, wie Sylvia langsam den Elektroschocker hob.
Michael Düsterwalds Atem ging schnell und flach. Hadice machte komische Geräusche und wackelte heftig mit dem Kopf. Erst da bemerkte er eine Person, die sich aus dem Schatten löste und einen Schritt auf ihn zumachte. In der Hand hielt sie einen bedrohlich wirkenden schwarzen Gegenstand. Düsterwald fuhr herum, zögerte den Bruchteil einer Sekunde. Dann schoss er.
Henry sah das Aufblitzen des Mündungsfeuers. Der Knall des Schusses drang bis zu ihm in den Keller. Sylvia erstarrte. Dann machte sie unbeirrt einen weiteren Schritt auf Düsterwald
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