In sündiger Silvesternacht
schaffte er es, die Tür aufzuschließen, Elizabeth auf den Beifahrersitz zu legen und sie anzuschnallen.
Zitternd glitt er Sekunden später hinters Steuer. Sein Atem ging flach, und er verspürte Druck in der Brust. Übelkeit stieg in ihm auf, als er den Schlüssel ins Zündschloss steckte.
Denk nicht darüber nach, tu es einfach. Tu es einfach .
Zähneklappernd legte er den Rückwärtsgang ein und trat aufs Gaspedal. Der Wagen schleuderte aus der Einfahrt.
Das Lenkrad in seiner Hand, die Beengtheit im Wageninnern, die Dunkelheit …
Denk nicht daran, denk nicht daran .
Olivias Hilfeschreie dröhnten in seinen Ohren. Er war schweißnass und keuchte angestrengt, während er auf die Kreuzung zur Main Street zuhielt. Scheinwerfer blitzten vor ihm auf, und er riss instinktiv das Steuer in Richtung Bürgersteig herum. Der andere Wagen glitt auf der Gegenfahrbahn an ihm vorbei, und Nathan erkannte, dass es nie die Gefahr eines Zusammenstoßes gegeben hatte.
Ich kann das nicht. Ich kann das nicht. Ich kann das nicht .
Die furchtbare Erkenntnis lähmte ihn. Er brachte es nicht fertig, den Fuß wieder aufs Gaspedal zu setzen. Völlig machtlos war er seinen traumatischen Erinnerungen ausgeliefert. Er schloss die Augen, beugte sich vor und presste die Stirn ans Lenkrad.
Sie wird sterben, du Bastard. Lizzy wird sterben, wenn du dich nicht zusammenreißt und weiterfährst .
Er schlug zwei-, dreimal hart mit dem Kopf ans Steuer. Der Schmerz half ihm, sich zu sammeln. Nathan atmete tief in den Bauch, lehnte sich zurück und fuhr nach einem Blick in den Rückspiegel und über die Schulter vom Straßenrand ab.
Der Wagen flitzte durch die Nacht. Nathan atmete weiter in den Bauch. Kämpfte mit aller Kraft gegen die nächste Panikattacke an. Seine Hände umklammerten das Steuer so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, doch allmählich bekam er seine Angst unter Kontrolle.
Endlich erreichte er die San Remo Bridge. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief im Krankenhaus an, um anzukündigen, dass er in wenigen Minuten dort sein würde.
Ein leises Stöhnen lenkte ihn kurz ab. Er warf einen Blick auf Elizabeth und sah, dass ihre Lider flatterten.
„Lizzy. Es wird alles gut. Bleib ganz ruhig liegen, Liebling. Wir sind gleich im Krankenhaus.“ Beruhigend berührte er ihre Schulter. Sie war entsetzlich kalt.
„Nate“, hauchte sie schwach.
„Ich bin bei dir, Liebling. Wir schaffen das.“
Mit glasigen Augen sah sie ihn an. „Du fährst.“
„Halt durch, Lizzy.“
Sie hob die linke Hand und ließ sie kraftlos wieder sinken. „So stolz auf dich“, murmelte sie undeutlich, bevor ihr die Augen zufielen.
Mit hohem Tempo nahm Nathan die letzte Kurve. Das blau-weiße Neonschild des Krankenhauses war wie ein Leuchtfeuer am Ende der Straße. Er schlug mit der Faust auf die Hupe, als er scharf vor der Notaufnahme bremste. Dann stürzte er aus dem Wagen und rannte zur Beifahrerseite, während das Bereitschaftsteam mit einer fahrbaren Trage herbeieilte.
„Wir übernehmen, Sir“, sagte eine Krankenschwester und zog ihn aus dem Weg.
Elizabeth wurde mit geübten Griffen auf die Trage gelegt und im Eiltempo durch die Doppeltür geschoben, während ein Arzt nebenherlaufend schon die ersten Anweisungen erteilte.
Nathan blieb zurück. Seine Arme hingen schlaff herab.
Er hatte es geschafft.
Er war überzeugt gewesen, dass er niemals wieder Auto fahren könnte, doch unter diesem extremen Druck hatte er seine Angst besiegt und es geschafft.
Allerdings fühlte er keinen Triumph.
Er fühlte gar nichts.
Als Elizabeth erwachte, stieg ihr der Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase. Sie hörte Stimmen und wollte sich auf die Seite drehen, aber irgendetwas hielt sie zurück. Benommen schlug sie die Augen auf und fand sich in einem weiß getünchten Krankenhauszimmer wieder. Ein Tropfhalter mit Infusionsbeutel stand neben ihrem Bett, das Röhrchen mit dem Schlauch steckte in ihrer Hand.
Was um alles in der Welt …
Dann fiel ihr alles wieder ein: die Fahrt nach Melbourne, der Streit zwischen Jarvie und Nathan, ihr Sturz im Bad und ihr verzweifelter Versuch, ans Telefon zu gelangen.
Nathan hatte sie zum Krankenhaus gefahren.
Sie runzelte die Stirn. Irrte sie sich auch nicht? Aber das Bild in ihrem Kopf blieb – Nathan hinterm Steuer, wie er ihr sagte, dass sie sich nicht bewegen sollte und dass alles gut werden würde.
Sie hob den Kopf, aber der Stuhl neben ihrem Bett war leer.
Wo war er? Sie war so stolz auf ihn. Er
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