In sündiger Silvesternacht
mit einem starken Gefühl von Verpflichtung ihnen gegenüber aufgewachsen und mit der Entschlossenheit, ihnen nie mehr zur Last zu fallen als unbedingt nötig.
Sie hatte erst in der Schule und später an der Universität ausgezeichnete Leistungen erbracht. Nie war sie abends lange aus gewesen oder betrunken nach Hause gekommen. Sie hatte niemals einen One-Night-Stand gehabt. Selbst ihr zukünftiger Ehemann hatte den Segen ihrer Großeltern, weil er in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Großvaters arbeitete.
Sie schuldete ihnen so viel – alles, wirklich. Doch sie schuldete auch sich selbst etwas. Und was ihre Großeltern getan hatten, war falsch.
„Ihr hättet mir die Entscheidung überlassen müssen. Ihr hattet kein Recht, mir das zu verheimlichen.“
Damit ihr in ihrer Wut nicht noch etwas herausrutschte, das ihr hinterher leidtun könnte, stand sie auf und verließ den Raum. Martin eilte ihr nach.
„Elizabeth. Warte.“
Er hielt sie am Ellbogen fest. Sie wirbelte herum und riss sich los.
„Wag es nicht zu sagen, dass ich mich beruhigen soll oder dass es keine Rolle spielt, Martin. Wag es nicht.“
Ihre Brust hob und senkte sich erregt. Er trat einen Schritt zurück, sichtlich getroffen von ihrer heftigen Reaktion.
„Wenn ich es dir hätte erzählen können, ohne das Vertrauen deines Großvaters zu missachten, hätte ich es getan. Glaub mir“, versicherte er ernst.
„Du bist mit mir verlobt, Martin. Findest du nicht, dass du mehr zu mir als zu meinem Großvater halten solltest?“
Er fuhr sich durchs Haar. „Unter normalen Umständen ja, aber dein Großvater und ich haben nicht nur eine persönliche, sondern auch eine geschäftliche Beziehung.“
„Ich verstehe.“ Das tat sie wirklich. Martin hoffte, noch dieses Jahr zum Partner in der Kanzlei aufzusteigen. Da wollte er natürlich keine Unruhe stiften.
Er ergriff ihre Hand. „Elizabeth, wenn wir in Ruhe über alles reden, wirst du bestimmt einsehen, dass alles nur zu deinem Besten geschah.“
Sie lachte ungläubig. „Zu meinem Besten? Woher um alles in der Welt willst du wissen, was zu meinem Besten ist, Martin? Du bist so damit beschäftigt, mir zu sagen, was gut für mich ist, dass du gar nicht merkst, wer ich bin oder was ich wirklich will. Es ist wie mit den furchtbaren Waterford-Champagnergläsern. Niemand interessiert sich dafür, was ich denke, und ich bin so erbärmlich feige, dass ich es auch noch hinnehme.“
Martin runzelte die Stirn. „Welche Champagnergläser? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Natürlich wusste er es nicht, aber für sie hing alles unentwirrbar miteinander zusammen: die Wut auf ihre Großeltern und auf Martin, ihre Panik wegen der Hochzeit, das erdrückende Gefühl, das sie jedes Mal überkam, wenn ihre Großeltern eine Entscheidung für sie trafen oder Martin in diesem besänftigenden Tonfall mit ihr redete und sie so behandelte, als bestünde sie aus feinem Porzellan.
„Ich kann das nicht“, erklärte sie entschlossen. „Es ist ein Fehler.“
Es war ihr plötzlich völlig klar.
Martin legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Elizabeth, du steigerst dich da in etwas hinein.“
Seine fürsorgliche Umarmung brachte das Fass zum Überlaufen. Sie stemmte die Hände gegen seine Brust und machte sich von ihm los.
„Ich möchte die Hochzeit absagen.“
Martin blinzelte, dann griff er wieder nach ihr. „Das meinst du nicht ernst. Du bist nur aufgeregt.“
Sie hielt ihn auf Abstand. „Violet rät mir schon seit Monaten, einmal innezuhalten und darüber nachzudenken, was ich tue. Sie hat recht. Ich will dies alles nicht. Ich habe das Gefühl zu ersticken.“
„Violet. Ich hätte mir denken können, dass sie etwas damit zu tun hat. Welchen Unfug hat sie dir nun wieder eingeredet? Wie herrlich es ist, sich als oberflächliche Schlampe durchzuschlagen? Oder vielleicht, wie man sich möglichst schnell eine Leberzirrhose antrinkt?“
Er hatte Violet nie gemocht, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihre beste Freundin hatte ihn von Anfang an nicht ausstehen können.
„Nein. Sie hat mich nur darauf hingewiesen, dass ich in diesem Jahr dreißig werde und immer noch das Leben führe, das meine Großeltern für mich bestimmt haben.“
„Was für ein hanebüchener Unsinn.“
Elizabeth musterte ihn, wie er da in seinem feinen Maßanzug und makellos weißen Oberhemd vor ihr stand. Er verstand sie nicht. Vielleicht konnte er es auch nicht.
Sie wusste von seiner Kindheit, von der
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