In sündiger Silvesternacht
Ecke bog und vor einem hellen Bungalow mit dem architektonischen Charme eines Schuhkartons hielt. Mit dem tiefen Vorsprung über der schmucklosen Betonterrasse, Schiebefenstern aus Metall und dem fleckigen braunen Rasen machte das Haus nicht gerade einen ansprechenden Eindruck.
Kein Vergleich mit den eleganten historischen Villen in Mayfair. Elizabeth wischte sich ihre plötzlich feuchten Hände an der Hose ab.
Sie hatte keine Ahnung, was für ein Mensch ihr Vater war. Welche Art von Leben er führte. Wie er reagieren würde, wenn seine verlorene Tochter auf seiner Schwelle auftauchte.
Ihr Großvater hatte offensichtlich keine hohe Meinung von Sam Blackwell. Elizabeth fragte sich, warum, und war nahe daran gewesen, vor ihrer Abreise eine Erklärung von ihm zu verlangen, doch nach einigem Hin und Her hatte sie sich dagegen entschieden. Sie würde mit ihrem Vater reden und sich ihre eigene Meinung über ihn bilden.
Dazu musste sie allerdings endlich den Mut aufbringen, aus dem Auto zu steigen und an seiner Tür zu klingeln.
Tu es einfach, Elizabeth .
Sie rührte sich immer noch nicht. Diese Begegnung bedeutete ihr so viel. Es war eine Chance, sich mit jemandem zusammengehörig zu fühlen. Eine Chance, wieder einen Vater zu haben.
Seit sie die Hochzeit hatte platzen lassen, war ihr Leben wie auf den Kopf gestellt, und sie hatte keine Ahnung, was als Nächstes passieren würde. Ein erschreckender Gedanke. Aber sie weigerte sich, ihren Entschluss zu bedauern. In Wahrheit hatte sie Martin nie so geliebt, wie eine Frau den Mann lieben sollte, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Sie hatte ihn gern. Sie bewunderte seine vielen guten Eigenschaften. Er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Doch er machte sie auch wütend und ließ sie sich sehnen nach … etwas, das sie nicht einmal benennen konnte.
Elizabeth holte tief Luft. Es wurde Zeit, mit dem Grübeln aufzuhören und zur Tat zu schreiten.
Sie nahm all ihren Mut zusammen, stieg aus dem Wagen und trat in die heiße Sonne Australiens.
2. KAPITEL
Nathan Jones wachte auf und dachte einen Moment lang an gar nichts. Für einen Sekundenbruchteil fühlte er nichts, wusste er nichts, erinnerte er sich an nichts.
Es war für ihn der beste Teil des Tages.
Dann wurde er richtig wach, und alles war wieder da: die Erinnerungen, die Schuld, die Scham, die Angst. Erdrückend und erbarmungslos.
Er starrte an die Decke und fragte sich, weshalb er das alles überhaupt noch auf sich nahm, tagein, tagaus. Sein Leben war so gut wie freudlos und voller Schmerz.
Nach einer Weile zwang er sich, sich aufzurichten und die Beine über die Bettkante zu schwingen. Schließlich hatte er keine andere Wahl. Er war nicht der Typ, der einfach alles hinwarf. Auch wenn ihm der Gedanke manchmal äußerst verlockend erschien.
Sein Kopf dröhnte. Nathan atmete tief durch. Es würde schon bald vorbeigehen. In den vergangenen vier Monaten hatte er genug Erfahrungen mit Kopfschmerzen gesammelt, um wenigstens so viel zu wissen.
Entscheidend war, dass er die Nacht durchgeschlafen hatte. Dafür nahm er den Brummschädel gern in Kauf.
Er stand auf und fuhr sich durchs Haar, dann nahm er das Handtuch vom Fußende des Bettes und wickelte es sich um die Taille. Auf dem Weg zur Tür fuhr er sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Er brauchte etwas zu trinken. Und vielleicht etwas zu essen. Wobei er sich in Bezug auf das Essen noch nicht sicher war.
Die grelle Mittagssonne blendete ihn, sobald er aus der Studiowohnung in den Hof trat. Mürrisch hielt er sich den Unterarm vors Gesicht. Sah so aus, als ob es wieder ein grässlich schöner Tag werden sollte.
Er ging zum Haupthaus und betrat die Küche. Der Fußboden war sandig unter seinen nackten Füßen. Nathan lächelte in sich hinein. Sam würde bei seiner Rückkehr garantiert einen Anfall bekommen. Wohl kaum jemand achtete so sehr auf Ordnung wie er. Sammy war ein richtiger Saubermann.
Nathan nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, legte den Kopf in den Nacken und trank gierig. Dann stellte er die fast leere Flasche auf den Tresen. Er wollte gerade unter die Dusche gehen, als es an der Haustür klopfte.
Er runzelte die Stirn. Er erwartete niemanden und wollte auch nicht unbedingt jemanden sehen. Das war der Sinn seines Aufenthalts auf der Insel – Abgeschiedenheit. Ruhe und Frieden. Abstand.
Er ging in den Flur und konnte durch das Glas in der Tür eine Silhouette erkennen. Während er im Hintergrund blieb und
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