In sündiger Silvesternacht
noch überlegte, ob er aufmachen sollte oder nicht, hob die Gestalt die Hand und klopfte noch einmal.
„Komme“, rief er und war sich dabei bewusst, dass er sich wie ein alter Griesgram anhörte.
Er zog die Tür auf und sah eine große, schlanke Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen und dunkelblauen Augen vor sich. Ihr hellblondes Haar hatte sie zu einer Frisur aufgesteckt, die ihn an Grace Kelly und andere Filmstars der goldenen Zeit erinnerte.
„Ja?“, fragte er noch schroffer. Wahrscheinlich, weil er nicht damit gerechnet hatte, eine so schöne Frau vor sich zu haben.
Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas zu sagen. Dabei schweifte ihr Blick von seinem Gesicht über seine Brust, seinen Bauch und tiefer, dann wieder hinauf zu seiner Brust. Schließlich richtete sie den Blick auf einen Punkt direkt hinter seiner rechten Schulter und räusperte sich.
„Verzeihen Sie die Störung. Ich suche Sam Blackwell. Mir wurde gesagt, dass er hier wohnt.“
Ihre Stimme war hell, ihre Aussprache glasklar mit einem vornehmen Akzent, wie er ihn mit Mitgliedern des britischen Königshauses in Verbindung brachte.
„Die Adresse stimmt, aber Sam ist nicht da“, erwiderte er.
„Können Sie mir sagen, wann er zurückkommt?“ Sie schaute kurz und nervös auf seine Brust, bevor sie den Blick wieder auf den Punkt hinter seiner rechten Schulter fixierte. Bei ihrer Verlegenheit hätte man fast glauben können, dass sie noch nie zuvor eine nackte Männerbrust gesehen hatte. Vor sechs Monaten noch hätte ihm ihre Verwirrung wahrscheinlich geschmeichelt – schließlich war sie sehr attraktiv.
Doch das war vor sechs Monaten gewesen.
„Sam kommt erst im neuen Jahr zurück“, antwortete er. „Versuchen Sie es nach dem fünften oder sechsten Januar.“
Er begann, die Tür zu schließen.
„Im neuen Jahr? Aber bis dahin vergeht fast noch ein ganzer Monat!“ Zum ersten Mal sah sie ihm richtig in die Augen. Ihr Blick war fassungslos und vielleicht auch ein bisschen enttäuscht.
Sein Bauchgefühl riet ihm, die Fremde fortzuschicken. Er hatte genug eigene Probleme.
„Ich kann es nicht ändern, tut mir leid“, sagte er stattdessen schon etwas verbindlicher.
Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. Bei der Bewegung sprang ihre Leinenbluse auf, sodass er einen Blick auf cremefarbene Spitze und Seide in ihrem Ausschnitt erheischen konnte.
„Haben Sie eine Telefonnummer, unter der ich ihn erreichen kann?“
„Nehmen Sie es mir nicht übel, doch die werde ich nicht einfach so an irgendjemanden herausgeben.“
Sie blinzelte. „Ich bin nicht irgendjemand, das versichere ich Ihnen.“
„Wenn Sie Ihre Handynummer und eine Nachricht bei mir hinterlassen wollen, richte ich sie ihm gern aus.“
Sie runzelte die Stirn. „Das ist keine Angelegenheit, die sich mit einer Nachricht regeln lässt.“
Nathan zuckte mit den Schultern. Wenn sie seinen Vorschlag nicht annehmen wollte … „Dann müssen Sie eben warten, bis Sam wieder in der Stadt ist.“
„Ich bin Tausende von Meilen gereist, um ihn zu sehen, Mr …?“ Sie hielt inne und wartete, dass er seinen Namen nannte.
„Nate. Nathan Jones.“
„Ich bin Elizabeth Mason.“
Sie streckte die Hand aus. Nach kurzem Zögern schüttelte er sie. Ihre Finger waren kühl und schlank, ihre Haut fühlte sich sehr weich an.
„Ich muss wirklich dringend mit Sam Blackwell sprechen“, fuhr sie fort und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn wohl umstimmen sollte.
„Wie ich schon sagte, hinterlassen Sie Ihre Nummer, und ich werde dafür sorgen, dass er sie bekommt.“
Sie zog ihre fein geschwungenen Brauen zusammen. „Vielleicht können Sie mir wenigstens verraten, wo er ist, wenn Sie mir seine Nummer nicht geben wollen.“
„Hören Sie, Miss Mason, worum es sich auch handeln mag, falls Sam Ihnen Geld schuldet oder sonst etwas, ich kann nicht mehr tun, als ihm eine Nachricht von Ihnen ausrichten. Das war’s, Ende der Diskussion.“
„Ich bin nicht hier, um Schulden einzutreiben.“ Die Vorstellung schien sie zu schockieren.
„Was auch immer. Entweder Sie nehmen meinen Vorschlag an, oder Sie lassen es bleiben.“
Als sie ihn daraufhin nur anstarrte, zuckte er mit den Schultern. „Schön“, meinte er und fing wieder an, die Tür heranzuziehen.
„Er ist mein Vater. Sam Blackwell ist mein Vater“, platzte es da aus Elizabeth Mason heraus.
Das allerdings ließ ihn innehalten.
Sam hatte nie eine Tochter oder überhaupt ein anderes Familienmitglied
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