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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Not.«
    Er musste über diese Bemerkung lächeln, denn es war eine ihrer typischen unverblümten Äußerungen, die die Studenten »Geffers Entgleisungen« nannten.
    »Ich spreche regelmäßig mit jemandem«, entgegnete er, überrascht, dass er diese Information freiwillig an eine Frau weitergab, die er kaum kannte.
    »Meinen Sie einen Therapeuten oder eine Frau?«, erkundigte sie sich.
    »Genau genommen beides«, antwortete er lachend.
    »Das war für uns alle ein schwieriges Jahr«, meinte sie. »Am meisten Sorgen mache ich mir um die Studenten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für sie sein muss. Was für eine Zeit, um in die Strafverfolgung zu gehen, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte er. »Es ist hart.«
    »Ach, na ja, die sind noch jung – sie werden’s überleben«, gab sie mit einem Zucken ihrer beachtlichen Schultern zurück. »Aber um Sie mache ich mir Sorgen.«
    »Ich werd’s auch überleben«, entgegnete Lee. Ihre Besorgnis rührte ihn. Dass er mit einer Depression zu kämpfen hatte, war kein Geheimnis, er hatte jedoch keine Ahnung, wie Lucille Geffers davon erfahren hatte.
    Offenbar verärgert darüber, dass ihre Aufmerksamkeit nicht länger auf ihn gerichtet war, drängte Rex seinen drahtigen Körper an Lees Beine. Rex war ein ziemlicher Trottel – nicht die Bohne intelligent, dafür gutmütig und freundlich. Er begegnete allen anderen Lebewesen mit einem breiten, einfältigen Grinsen, sein aufgestellter Schwanz wedelte gemächlich, und sein Körper wand sich vor Freude und guten Absichten. Wurde er zurückgewiesen – von einem zurückhaltenden Terrier oder einem Kind, das Angst vor Hunden hatte –, wirkte Rex immer verletzt und verblüfft. In seiner Welt existierten Misstrauen, Unfreundlichkeit oder schlechte Laune nicht.
    »Er ist ein braver Junge, wissen Sie«, sagte Lucille und lächelte auf ihn hinunter.
    »Ja, ein guter Hund.«
    Sie wussten beide nicht, was sie sagen sollten. So standen sie da und beobachteten die unzähligen gelben Taxis, die über die Third Avenue bretterten.
    »Ich habe gehört, Sie hielten letztes Frühjahr eine Vorlesung«, bemerkte sie und fuhr sich durchs Haar.
    »Stimmt.«
    »Hörte, sie soll gut gelaufen sein.«
    »Schön, freut mich.«
    Lee sah zum Cooper Union hoch, in dessen hohen, weiten Fenstern sich die Sonne spiegelte.
    »Wollen Sie noch eine?«, fragte sie.
    »Im Ernst?«, erwiderte er überrascht.
    »Ich bin Vorsitzende des Gastdozentenausschusses, und wir haben bei der letzten Sitzung darüber gesprochen. Ich dachte, Tom würde Sie anrufen, aber das hat er bislang offensichtlich nicht getan.« Tom Mariella war Vorsitzender des Fachbereichs Psychologie und hatte Lee beim ersten Mal als Gastdozenten vorgeschlagen.
    »Und zu welchem Thema?«
    »Was Sie so machen – Ihre Arbeit beim NYPD , was Sie gelernt haben, solche Sachen. Besonders gut fänden wir es, wenn Sie über Serientäter sprächen, falls Sie nichts dagegen haben.«
    »Oh, ich denke, das geht schon. Und wann?«
    »Könnten Sie die Veranstaltung in einer Woche zusammenstellen? Wir haben für nächsten Donnerstag eine Absage bekommen und würden die Lücke gern besetzen.«
    Er überlegte. Und dachte an eine der Lieblingsredensarten seiner Mutter: Wenn du was erledigt haben willst, frag einen, der ausgelastet ist.
    »Okay«, sagte er.
    »Schön«, erwiderte sie und tätschelte ihm nachdrücklich den Arm. Sie hatte kräftige und schwielige Hände mit eingerissenen, schmutzigen Nägeln, die Hände von jemandem, der möglicherweise viel im Garten arbeitete. »Sehr schön. Ich werde da sein – und freue mich schon darauf.«
    »Danke«, sagte er.
    »Komm, Rex, es ist Zeit heimzugehen«, sagte sie und bückte sich, um die Leine an seinem Halsband festzumachen. Mit einem glücklichen Ausdruck auf seinem großen, ein bisschen doofen Gesicht sah er zu ihr auf, seine lange rosa Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul. Lee beneidete den Hund darum, dass er die Art eines Menschen gar nicht wahrnahm.
    »Auf Wiedersehen«, sagte sie, nahm seine Hand, schüttelte sie und sah ihm dabei in die Augen. »War schön, Sie zu treffen.«
    »Gleichfalls«, entgegnete er und meinte es auch so.
    »Halten Sie die Ohren steif!«, rief sie ihm über die Schulter zu, als sie Rex auf die Straße hinausfolgte. Sie musste alles aus ihren kurzen Beinen herausholen, um dem Hund hinterherzukommen, der ungeduldig an der Leine zog.
    Er schlenderte über die East Seventh Street, und ihm war unwohl. Schon wieder wurde sein Leben durch diese

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